09august026

Trotz der drückenden Wärme dieser Tage bin ich viel draussen. Ich weiss nur allzugut, wie flüchtig diese Schönheit ist, wie schnell sie Abschied nimmt, wie plötzlich ihre süsse Reife sich zu Tod und Welke wandeln kann. Und ich bin so geizig, so habgierig dieser Spätsommerschönheit gegenüber! Ich möchte nicht nur alles sehen, alles fühlen, alles riechen und schmecken, was diese Sommerfülle meinen Sinnen zu schmecken anbietet; ich möchte es rastlos und von plötzlicher Besitzlust ergriffen auch aufbewahren und mit in den Winter, die kommenden Jahre und Tage des Alters nehmen. Ich bin sonst nicht eben eifrig im Besitzen, ich trenne mich leicht und gebe leicht weg. Aber jetzt plagt mich ein Eifer des Festhaltenwollens, über den ich zuweilen selber lächeln muss. Im Garten auf der Terrasse, am Türmchen unter der Wetterfahne, setze ich mich Tag für Tag stundenlang fest, plötzlich unheimlich fleissig geworden und mit Bleistift und Feder, mit Pinsel und Farben versuche ich dies und jenes von dem blühenden und schwindenden Reichtum beiseite zu bringen. Ich zeichne mühsam die morgendlichen Schatten auf der Gartentreppe nach und die Windungen der dicken Glyzinienschlangen und versuche, die fernen, gläsernen Farben der Abendberge nachzuahmen, die so dünn wie ein Hauch und doch so strahlend wie Juwelen sind. Müde komme ich dann nach Hause, sehr müde, und wenn ich am Abend meine Blätter in die Mappe lege, macht es mich beinah traurig zu sehen, wie wenig von allem ich mir notieren und aufbewahren konnte.
Hermann Hesse