Goldne Abendsonne, O wie bist du schön!
Nie kann ohne Wonne deinen Blick ich sehn.
Lachend steigst du nieder deine hohe Bahn,
Blickest morgen wieder mich so segnend an.
Schon in früher Jugend sah ich gern nach dir,
Und der Trieb zur Tugend glühte mehr in mir.
Wenn ich so am Abend staunend vor dir stand,
Und, an dir mich labend, Gottes Huld empfand.
In des Herzens Tiefe war es, als wenn mir
Eine Stimme riefe: Gott ist nahe dir!
Und bey dem Gefühle freute sich die Brust,
Mehr als je bey’m Spiele Jugendlicher Lust.
Doch von dir, o Sonne, wend’ ich meinen Blick
Mit noch höh’rer Wonne auf mich selbst zurück.
Schuf uns ja doch beyde eines Schöpfers Hand –
Dich im Strahlenkleide, mich im Staubgewand.
Anna Barbara Urner