14may006

Gib mir Vergessen, Herr, und dann nichts mehr;
O, laß von deinem milden Sternenheer
Mir Frieden in die wunde Seele strahlen.
Herr, was verbrach ich? Beugt’ ich nicht das Knie
Vor dir, wenn ich mit meiner Poesie
Ihr Bild – das Ebenbild der Gottheit — schmückte?
Du kannst nicht zürnen, Herr, denn wer sie liebt
Ist nur dein Bote, welcher weitergiebt
Die reichen Spenden deiner Himmelsgnade.
Du bist die Liebe! — Nimmer liebeleer
Umfängst du deine Menschheit mit dem Meer
Aus dem entsprungen Venus-Aphrodite.
O blinder Unverstand, o Kleinlichkeit,
Die Alles mißt nach Elle, Pfund und Zeit,
Die auch die Liebe will nach Stunden messen!
Gieb mir Vergessen Herr, und dann nichts mehr!
Der Rest ist Schweigen, denn das All ist leer
Nichts will ich mehr — Vergessen nur, Vergessen!

Willibald Winckler