Im Hof des Schlosses zu Erbach, an der Hofwand des Eingangsbaues befestigt, steht ein hoher Bildstock, dessen Oberteil eine ganz andere Form als die weithin üblichen Häuschen aufweist. Ein schmaler, hoher, nach oben sich verbreiternder und ganz oben eckig ausladender Stein sitzt auf einem einfachen Pfeiler, nur durch eine leichte Schräge von ihm abgesetzt. Die Nische, nicht sehr stark eingetieft, zeigt als Relief einen Christus am Kreuz und vier gotische Winkel in den Ecken, dem Maßwerk eines Fensters ähnlich. Die Gestalt des Heilandes ist leider durch Verwitterung so stark verletzt, daß eine Beurteilung der ursprünglichen künstlerischen Qualität nicht mehr möglich ist. Man kann nur noch ahnen, welch große Ausdruckskraft einst in der Figur vorhanden gewesen sein muß. Der obere Teil des Steines ragt dachartig ein wenig über die Seitenwände hervor. Die Überlieferung berichtet, daß dort bei der Arbeit am Dach des Eingangsbaues ein Dachdecker abgestürzt sei und den Tod gefunden habe. Zum Andenken an dieses Unglück habe man den Bildstock gesetzt. Eher möglich erscheint es, daß der Stein von irgendwoher in den Schloßhof gebracht wurde, wie es mit einem anderen vom Typ des Bildhäuschens geschehen ist, der am alten runden Turm seinen Platz gefunden hat. Ohne Zweifel ist der Bildstock mit den deutlichen gotischen Stilmerkmalen älter als der Bau, an dem er steht, der vom Ende des 16. Jahrhunderts stammt.

Quelle: Mößinger, Friedrich – Bildstöcke im Odenwald, 1962, S.31

GPS-Koordinaten: 49.6574028,8.9922194