Friedhof Kirchbrombach

Denke ich an diese Zeiten zurück, übermannt mich die Wehmut. Aber die Uhr des Lebens läßt sich nicht zurückdrehen. Das ist bedauerlich, aber gerecht. So folgt jetzt, wie es sich gehört, der Winter auf den Herbst. Die Sonne, kalt wie der Mond, sinkt in den eisgrauen Ozean, und der Wind riecht nach Schnee. Da ist auch noch ein anderer Geruch in der Luft, der Geruch von Feuern, die in der Ferne brennen, mit einem Hauch Zimt darin – so riecht das Abenteuer! Früher bin ich diesem Geruch immer gefolgt, aber heute habe ich Wichtigeres zu tun: Meine Lebenserinnerungen müssen der Nachwelt erhalten werden. Die ersten Frostgespenster strecken ihre klammen Finger durch die Dielen meiner Kajüte und greifen nach meinen Füßen. Unsichtbare Eishexen malen Schneeblumen auf die Fenster. Nicht gerade meine bevorzugte Jahreszeit, aber genau der richtige Anlaß, eine Kanne heißen Kakao zu kochen (mit einem winzigen Schuß Rum), dreizehneinhalb gestopfte Pfeifen, dreizehneinhalb Marmeladenbrote und dreizehneinhalb gespitzte Bleistifte bereitzulegen und zu beginnen, meine ersten dreizehneinhalb Leben niederzuschreiben. Ein kühnes, kräftezehrendes Unterfangen von epischem Ausmaß, wie ich befürchte. Denn, wie schon gesagt: Damals gab es von allem viel mehr – natürlich auch mehr Abenteuer.

Walter Moers