09februar021

O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe! Welch neue Welt bewegest du in mir?
Was ist’s, daß ich auf einmal nun in dir von sanfter Wollust meines Daseins glühe?
Und welch Gefühl entzückter Stärke, indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!
Vom ersten Mark des heutgen Tags getränkt, fühl ich mir Mut zu jedem frommen Werke.
Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht, der Genius jauchzt in mir! Doch sage,
Warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?
Ist’s ein verloren Glück, was mich erweicht?
Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage?
– Hinweg, mein Geist! hier gilt kein Stillestehn:
Es ist ein Augenblick, und alles wird verwehn!
Dort, sieh, am Horizont lüpft sich der Vorhang schon!
Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn;
Die Purpurlippe, die geschlossen lag, haucht, halbgeöffnet, süße Atemzüge:
Auf einmal blitzt das Aug, und, wie ein Gott, der Tag
Beginnt im Sprung die königlichen Flüge!
Eduard Mörike