Nur unter den richtigen Wetterbedingungen entsteht Haareis. Es benötigt Glück, das Naturphänomen an kalten und schneelosen Tagen im Spätherbst oder Winter im Wald zu beobachten. Auf den ersten Blick schaut die Eisform aus wie Zuckerwatte die sich am Waldboden auf alten Ästen bildet. Doch nicht jeder Ast bildet die besondere Eisform aus. Einige spezielle Voraussetzungen sind notwendig, damit die Zuckerwatte im Wald entsteht.

Die weißen, dichten, welligen Fäden finden sich an einzelnen, toten Ästen von Laubbäumen am Waldboden. Sie sind haarfein, wachsen in wattebauschartigen Büscheln und entstehen an rindenfreien Stellen. Im ersten Moment liegt der Verdacht nahe, dass es sich um die Fruchtkörper eines seltenen Pilzes handelt. Die feinen Gebilde erinnern an Zuckerwatte oder fein gekämmte Wolle. Manchmal sieht das Haareis aber auch wie weiße Haarbüschel aus. Die Eiswolle ist zwischen drei und zehn Zentimeter lang und 0,02 Millimeter dick.

Ein Pilz, der ähnliche Strukturen ausbildet, ist der Ästige Stachelbart (Hericium corabides), Pilz des Jahres 2006. Der Pilz ist in Europa selten und insbesondere in alten, Buchenbeständen zu finden. Er wächst hauptsächlich auf Buche und ist selten an Eiche, Ulme, Esche, Birke oder Pappel zu beobachten. Seine Fruchtkörper aus blendend weißen und fein verzweigten Ästchen entstehen im frühen Herbst, noch bevor die Temperaturen Richtung null Grad gehen.

Das Phänomen Haaries ist dennoch direkt an einen Pilz gebunden. Die feine Eiswolle entsteht nur auf abgestorbenen Ästen von Laubgehölzen, die von der Rosagetönten Gallertkruste (Exidiopsis effuso) befallen sind. Die Entdeckung dieses Zusammenhanges ist ein wichtiger Schritt gewesen, um das Rätsel Haareis zu lösen. Auch Alfred Wegner, weltbekannter Deutsche Meteorologe und Polarforscher, wunderte sich Anfang des 20. Jahrhunderts über diese merkwürdige Eisform. Er erkennte in Versuchen, dass ein Pilz eine entscheidende Rolle bei der Bildung der Eiswolle spielt. Aber bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert versuchen Forscher das Rätsel zu knacken. Forschern aus Bern und Jülich gelangt es in den letzten Jahren die Prozesse, die das Haareis verursachen weitestgehend zu entschlüsseln.

Haareis wächst von der Basis aus und nicht wie Eiszapfen oder Reif an den Enden. Die dünnen Eisfäden entstehen innerhalb weniger Stunden und wachsen auf bis zu zehn Zentimeter. Die Eis-Zuckerwatte erscheint über Nacht und hält sich nur kurz. Je nach Lage des Astes an einem schattigen oder sonnigen Platz, ist das Eis in der Sonne nach einer Stunde geschmolzen. Im Schatten bleibt es auch einen ganzen Tag erhalten. Wenn die Eisfäden wachsen, entwickeln sie genug Kraft, um die Borke vom Ast zu lösen.

Die feine Eiswolle entsteht, da das Wasser bei den richtigen Bedingungen nur oben im Holz gefriert. Dabei dehnt es sich aus, während von unten sich ausdehnendes Wasser nachdrückt, das dann an der Oberfläche gefriert. Drei Effekte spielen eine wichtige Rolle, damit die Fäden entstehen: Erstens besitzt Eis eine höhere Ausdehnung als Wasser. Zweitens dehnt sich auch Wasser, wenn es auf unter vier Grad Celsius abkühlt, aus (Anomalie des Wassers).

Im Gegensatz zu fast allen anderen Flüssigkeiten, erreicht Wasser seine geringste Dichte bei 4° Celsius. Wird es kälter, dehnt sich Wasser wieder aus. Aus diesem Grund schwimmt Eis auf dem Wasser, statt abzusinken. Den geringste Widerstand für das sich ausdehnende Wasser gibt es auf der Oberfläche des Stammes. Deshalb drückt das Wasser nach oben. Die feinen Eisfäden bilden sich, solange noch Wasser im Holz ist, dass das Eis nach oben drückt. Die verholzten Gefäße im Holz des Astes sind äußerst fein und wirken wie Löcher in einem Sieb: Sie sind der dritte Grund für die hauchfeinen Fäden. Vergleichbar ist das Phänomen des Haareises mit Kammeis. Die kleinen gebündelten Eisnadeln wachsen aber nicht aus einem Holzstück, sondern aus dem Boden. Aus den feinkörnigen, aber noch nicht komplett gefrorenen Boden, schieben sich bis zu 30 Zentimeter lange Eisnadeln.

Noch nicht endgültig gelöst ist die Frage, warum Haareis fast nur entsteht, wenn die Rosagetönte Gallertkruste im Holz vorhanden ist. Die Forscher aus Bern vermuten, dass das Eis nicht aus reinem Wasser besteht. Vielmehr trägt es durch die Abbauprozesse des winteraktiven Pilzes Stoffe in sich, die erst die Bildung der feinen Eisfäden ermöglichen. Zunächst benötigt es winzige Gefrierkerne für sehr kleine Eiskristalle, welche die dünnen Haare entstehen lassen. Zudem finden sich im abtauenden Haareis perlenartig angeordnete Wassertröpfchen. Diese sind durch kaum sichtbare Fäden verbunden. Da diese nicht aus Eis bestehen können, liegt der Verdacht nahe, dass sie ein Nebenprodukt aus dem Abbauprozessen des Eises sind.

Neben dem Pilz im Totholz und einer Stelle mit fehlender oder loser Rinde, sind die klimatischen Bedingungen für Haareis wichtig. Die Chancen steigen, wenn es in den Tagen zuvor viel regnet und eine hohe Luftfeuchtigkeit herrscht. Dann ist das Holz ausreichend mit Wasser vollgesogen. Ist es zu trocken, verdunstet das Wasser im Holz. Ganz wichtig ist die Temperatur, die bei circa null Grad Celsius liegen muss. Ist es kälter oder sinkt die Temperatur zu schnell gefriert das Wasser im Holz. Es drückt nicht mehr nach oben und die feinen Eisfäden bilden sich nicht aus.