2G oder 2G-plus, Quarantäne oder nicht – immer neue Vorschriften und Ausnahmen sollen das Coronavirus eindämmen. Doch selbst das Land Hessen und die Kommunen sind nicht immer auf dem neuesten Stand. Juristen halten das Regel-Wirrwarr für bedenklich.

Von Tobias Lübben

Muss ich in Quarantäne oder nicht? Diese Frage stellen sich derzeit viele, vor allem Kontaktpersonen von Infizierten. So wie Miho Sander aus Frankfurt (Name geändert, d. Red.). Ihre siebenjährige Tochter ist positiv getestet. Sander ist doppelt geimpft und hat sich vor vier Monaten mit Corona angesteckt. Auf den Internet-Seiten von Stadt, Land und Robert-Koch-Institut (RKI) findet sie widersprüchliche Angaben, wie sie sich nun verhalten soll.

Geht sie danach, was das Frankfurter Gesundheitsamt und das Land Hessen noch Anfang der Woche auf ihren Internetseiten schreiben, muss sie in Quarantäne. Denn ihre Infektion liegt schon mehr als 90 Tage zurück. Laut Robert-Koch-Institut dagegen gibt es so eine Befristung nicht. Mehr noch: Es reicht, einmal geimpft und einmal genesen zu sein, egal, in welcher Reihenfolge. Was stimmt nun?

Überholte Angaben bei zwei Behörden

Im Internet recherchiert und trotzdem ratlos. Das sei eine missliche Situation, findet der Marburger Jurist Johannes Buchheim. Er lehrt an der Philipps-Universität öffentliches Recht und sagt: “Grundsätzlich muss der Staat, wenn er kommuniziert, richtige Informationen geben.” Wenn zwei Stellen gegensätzliche Informationen liefern, sei klar, dass etwas nicht stimme.

Sander hat sich mit ihrer Quarantäne-Frage an den hr gewandt. Auf Nachfrage räumen Gesundheitsamt und Sozialministerium ein: “Die Angaben sind überholt und werden korrigiert.” Das heißt: Sander muss nicht in Quarantäne, beim RKI steht es richtig. Hätte Miho Sander den Angaben von Stadt und Land vertraut, hätte sie ohne Not auf Bewegungsfreiheit verzichtet.

Chatbot verweist auf “Liste des Wahnsinns”

Es ist nicht der einzige Fall von Regel-Chaos. Auch die 2G-plus-Regeln sorgen nach wie vor für Verwirrung. Das Land Hessen hat vor drei Wochen eine Liste aufgestellt, die nicht weniger als 20 verschiedene Konstellationen von Impfungen, Infektion und Befristung unterschied. Die Liste sollte erklären, wer wann 2G- oder 2G-plus-Status hat. Wegen ihrer Kompliziertheit bekam sie von der Bild-Zeitung den Namen “2G-Liste des Wahnsinns”.

Am Wochenende hat das Land die Regeln vereinfacht, mehr Menschen als bisher haben jetzt den 2G-plus-Status. Das Problem: Die inzwischen überholte 2G-plus-Liste fand sich trotzdem noch im Internet. Auf der Seite des Sozialministeriums verwies der Chatbot “Leon”, ein computergesteuerter Hessen-Löwe, bei Fragen nach 2G-plus noch am Donnerstag auf die Liste. Und die Stadt Fulda hat die Liste ebenfalls noch auf ihrer Corona-Seite.

Auch Profis blicken kaum noch durch

Im Regel-Dschungel blickt auch Stefan Huster kaum noch durch. Dabei ist er Profi: Er lehrt an der Ruhr-Universität Bochum Gesundheitsrecht und ist Mitglied der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, die die Bundesregierung berät. In der Pandemie, sagt er, zeige sich das Manko des föderalen Systems mit seinen vielen Ebenen. Da werde es schnell unübersichtlich.

Unübersichtlich, nicht nachvollziehbar, verfassungswidrig – so hat jetzt das Verwaltungsgericht Osnabrück argumentiert. Es ging um die umstrittene Verkürzung des Genesenenstatus von sechs Monaten auf 90 Tage. Die hat das Robert-Koch-Institut – von den meisten zunächst unbemerkt – im Internet veröffentlicht, Tausende verloren dadurch über Nacht ihren 2G-Status.

Wer nicht richtig informiert, kann auch nicht bestrafen

Auch wenn es ein erstinstanzliches Urteil ohne Auswirkungen auf Hessen ist, kann Huster die Argumentation der Osnabrücker Richter verstehen. An den Genesenenstatus seien ja Freiheitsrechte geknüpft. Die könne man nicht einfach dadurch einschränken, “dass man verweist auf die Seite einer nachgeordneten Behörde, die dort ständig neue Regeln publiziert”.

Haben die Bürger denn einen Rechtsanspruch auf klare und einfache Regeln und ständig aktuelle Internet-Seiten? Das nicht, sagen die beiden Juristen Buchheim und Huster unisono. Das gebe es im Steuerrecht ja auch nicht. Aber zumindest in einem Punkt geben sie Entwarnung: Wenn Behörden selbst nicht richtig über die geltenden Regeln informieren, dann können sie auch kein Bußgeld verhängen, wenn jemand gegen diese Regeln verstößt.Weitere Informationen

Sendung: hr-iNFO, 11.02.2022, 9.40 UhrEnde der weiteren Informationen

Quelle: hessenschau.deTHEMEN