Und diese Art zu schauen und zu leben steht so fest in ihm, weil er sie als Handwerker gewann: damals, als er das so unendlich unstoffliche und einfache Element seiner Kunst gewann, gewann er sich diese große Gerechtigkeit, dieses vor keinem Namen schwankende Gleichgewicht der Welt gegenüber. Da es ihm gegeben ward, Dinge zu sehen in allem, erwarb er die Möglichkeit, Dinge zu bauen; denn dieses ist seine große Kunst. Nun beirrt ihn keine Bewegung mehr, da er weiß, daß auch im Auf und Ab einer ruhigen Fläche Bewegung ist, und da er nur Flächen sieht und Systeme von Flächen, welche Formen genau und deutlich bestimmen. Denn es ist nichts Ungewisses für ihn an einem Gegenstande, der ihm zu[m] Vorbild dient: da sind tausend kleine Flächenelemente in den Raum hineingepaßt, und seine Aufgabe ist, wenn er danach ein Kunstwerk schafft: das Ding noch inniger, noch fester, noch tausendmal besser in den weiten Raum einzufügen, gleichsam so, daß es sich nicht rührt, wenn man daran rüttelt. Das Ding ist bestimmt, das Kunst-Ding muß noch bestimmter sein; von allem Zufall fortgenommen, jeder Unklarheit entrückt, der Zeit enthoben und dem Raum gegeben, ist es dauernd geworden, fähig zur Ewigkeit. Das Modell scheint, das Kunst-Ding ist. So ist das eine der namenlose Fortschritt über das andere hinaus, die stille und steigende Verwirklichung des Wunsches, zu sein, der von allem in der Natur ausgeht. Damit fällt der Irrtum, der die Kunst zu dem willkürlichsten und eitelsten Gewerbe machen wollte, aus; sie ist der demütigste Dienst und ganz getragen von Gesetz. Aber jenes Irrtums sind alle Schaffenden und alle Künste voll, und ein sehr Mächtiger mußte dawider aufstehen; und ein Tätiger mußte es sein, der nicht redet und der Dinge tut ohne Unterlaß. Seine Kunst war von allem Anfang an Verwirklichung (und das Gegenteil von Musik, als welche die scheinbaren Wirklichkeiten der täglichen Welt verwandelt und noch weiter entwirklicht zu leichtem, gleitendem Scheinen. Weshalb denn auch dieser Gegensatz der Kunst, dieses Nichtverdichten, diese Versuchung zum Ausfließen soviel Freunde und Hörer und Hörige hat, soviel Unfreie und an Genuß Gebundene, nicht aus sich selbst heraus Gesteigerte und von außen her Entzückte . . .). Rodin, in Armut und schlechtem Stande geboren, sah besser als irgendeiner, daß alle Schönheit an Menschen und Tieren und Dingen gefährdet ist durch Verhältnisse und Zeit, daß sie ein Augenblick ist, eine Jugend, die in allen Altern kommt und geht, aber nicht dauert. Was ihn beunruhigte, war gerade der Schein dessen, was er für unentbehrlich hielt, für notwendig und gut: der Schein der Schönheit. Er wollte, daß sie sei, und sah seine Aufgabe darin, Dinge (denn Dinge dauerten) in die weniger bedrohte, ruhigere und ewigere Welt des Raumes zu passen; und er wandte an sein Werk unbewußt alle Gesetze der Anpassung an, so daß es organisch sich entfaltete und lebensfähig wurde. Schon ganz frühe versuchte er, nichts “auf das Aussehen hin” zu machen; es gab kein Zurücktreten bei ihm, sondern ein immerwährendes Nahesein und Gebeugtsein über das Werdende. Und heute ist diese Eigenart in ihm so stark geworden, daß man fast sagen könnte, das Aussehen seiner Dinge sei ihm gleichgültig; so sehr erlebt er ihr Sein, ihre Wirklichkeit, ihre allseitige Loslösung vom Ungewissen, ihr Vollendet- und Gutsein, ihre Unabhängigkeit; sie stehen nicht auf der Erde, sie kreisen um sie.

Rainer Maria Rilke