15november025

Wenn ich Zeitung lese, Radio höre oder im Cafe darauf achte, was die Leute sagen, empfinde ich immer öfter Überdruss, ja Ekel ob der immer gleichen Worte, die geschrieben und gesprochen werden, ob der immer gleichen Wendungen, Floskeln und Metaphern. Und am schlimmsten ist es, wenn ich mir selber zuhöre und feststellen muss, dass auch ich die ewig gleichen Dinge sage. Sie sind so schrecklich verbraucht und verwohnt, diese Worte, abgenutzt von millionenfacher Verwendung. Haben sie überhaupt noch eine Bedeutung?
Natürlich, der Austausch der Wörter funktioniert, die Leute handeln danach, sie lachen und weinen, sie gehen nach links oder rechts, der Kellner bringt den Kaffee oder Tee. Doch das ist es nicht, was ich fragen will. Die Frage ist: Sind sie noch Ausdruck von Gedanken? Oder nur wirkungsvolle Lautgebilde, welche die Menschen dahin und dorthin treiben, weil die eingravierten Spuren des Geplappers unablässig aufleuchten?
Es kommt vor, dass ich dann an den Strand gehe und den Kopf weit hinaus in den Wind halte, den ich mir eisig wünschen würde, kälter, als wir ihn hierzulande kennen: Er möge all die abgegriffenen Worte, all die faden Sprechgewohnheiten aus mir hinaus blasen, so dass ich zurückkommen könnte mit gereinigtem Geist, gereinigt von der Schlacke des immer gleichen Geredes.

Doch bei der ersten Gelegenheit, wo ich etwas sagen muss, ist alles wie vorher. Die Reinigung, nach der ich mich sehne, ist nichts, was von selbst geht. Ich muss etwas tun, und ich muss es mit Worten tun. Aber was? Es ist nicht, dass ich aus meiner Sprache austreten und in eine andere eintreten möchte. Nein, es geht nicht um sprachliche Fahnenflucht. Und auch etwas anderes sage ich mir:

Man kann die Sprache nicht neu erfinden. Doch was ist es dann, was ich möchte? Vielleicht ist es so: Ich möchte die Worte neu setzen. Die Sätze, die aus dieser neuen Setzung entstünden, möchte nicht ausgefallen sein und verschroben, nicht exaltiert, maniriert und gewollt. Es müssten archetypische Sätze sein, die sein Zentrum ausmachten, so dass man das Gefühl hätte, sie entsprängen ohne Umweg und ohne Verunreinigung aus dem transparenten, diamantenen Wesen dieser Sprache. Die Worte müssten makellos sein wie polierter Marmor, und sie müssten rein sein wie dir Töne in einer Partita von Bach, die alles, was nicht sie selbst sind, in vollkommene Stille verwandeln. Manchmal, wenn noch ein Rest von Versöhnlichkeit mit dem sprachlichen Schlamm in mir ist, denke ich, es könnte die wohlige Stille eines zufriedenen Wohnzimmers sein oder auch die entspannte Stille zwischen Liebenden. Doch wenn mich die Wut über die klebrigen Wortgewohnheiten ganz und gar in Besitz nimmt, dann darf es nicht weniger sein als die klare, kühle Stille des Weltraums, in dem ich als die einzigste meine geräuschlosen Bahnen ziehe. Der Kellner, die Friseuse, der Schaffner- sie würden stutzen, wenn sie die neu gesetzten Worte hörten, und ihr Erstaunen würde der Schönheit, die nichts anderes wäre, als der Glanz ihrer Klarheit. Es wären, stelle ich mir vor, zwingende Sätze, und auch unerbittlich könnte man sie nennen. Unbestechlich und unverrückbar stünden sie da, und darin glichen sie den Worten eines Gottes. Zugleich wären sie ohne Übertreibung und ohne jedes Pathos, genau und von einer Kargheit, dass man kein einziges Wort wegnehmen könnte und kein einziges Komma. Darin wären sie einem Gedicht vergleichbar, geflochten von einem Goldschmied der Worte.

Pascal Mercier