Es sind heute wesentlich weniger Stühle auf der Konzertbühne im Staatstheater Darmstadt … die Erklärung liegt bei Lucie Leguay – doch dazu später mehr… *

  • Edward Grieg “Aus Holbergs Zeit”, Suite im alten Stil C-Dur op. 40
  • Jelena Firsowa: Konzert für Saxophonquartett op. 206 (Deutsche Erstaufführung /Auftragswerk des Staatstheaters Darmstadt in Kooperation mit dem Bruckner-Orchester Linz)
  • Pjotr Iljitsch Tschaikowski: Sinfonie Nr. 6 h-Moll “Pathétique”

Die Sinfonie Nr. 6 „Pathétique“ in h-Moll (op. 74)

… ist das letzte Werk von Peter Iljitsch Tschaikowski.

Nach dem plötzlichen Verlust der Freundschaft mit Nadeshda von Meck im Jahr 1890 gestand Tschaikowski dem Großfürsten Konstantin: “Eine überwältigende Sehnsucht überkommt mich, eine monumentale Symphonie zu erschaffen, die den Höhepunkt meiner gesamten Schaffenszeit markieren soll.” Doch erst zwei Jahre später begann er zögerlich, eine Sinfonie zu skizzieren und sogar teilweise zu instrumentieren. Doch diese Komposition konnte den Ansprüchen seiner eigenen Selbstkritik nicht standhalten. In seiner eigenen Beschreibung enthielt sie “nur spärlich Gutes, lediglich klangvolle Leere ohne wahre Inspiration.” Tschaikowski vernichtete das Werk. Im Jahr 1893, während seiner letzten Konzertreise, skizzierte er eine neue Sinfonie, über deren Programm er verkündete: “Es soll für alle ein Rätsel bleiben – möge jeder daran verzweifeln”, schrieb er. Nach seiner Rückkehr nach St. Petersburg arbeitete er die Skizzen so hastig aus, dass der erste Satz in weniger als vier Tagen fertig war. Merkwürdigerweise bereitete ihm diesmal die Instrumentation erhebliche Schwierigkeiten. “Je weiter ich mit der Instrumentation vorankomme, desto anspruchsvoller wird sie. Heute habe ich den ganzen Tag über zwei Seiten gearbeitet; es will einfach nicht so werden, wie ich es mir wünsche”, schrieb er an seinen Bruder Modest und an seinen Neffen Wladimir: “Es würde mich nicht wundern, wenn diese Sinfonie, wie es meine Gewohnheit ist, nur geringen Erfolg und Spott ernten sollte; das wäre ja nicht das erste Mal.”

Als Tschaikowski seine “Sechste” komponierte, war er bereits ein international anerkannter Komponist. Seine brillant instrumentierte Ballettmusik und die sinfonischen Dichtungen (“Capriccio Espagnol”, “Romeo und Julia”) waren Publikumsmagneten. Seinen Brotberuf im Staatsdienst und später am Konservatorium hatte er durch die Beziehung zu seiner Freundin und Mäzenin Nadeshda von Meck längst aufgegeben, aber leider ging auch diese Freundschaft in die Brüche. Tschaikowski betrachtete seine “Sechste” als sein Meisterwerk: “Ich liebe sie, ich liebe sie so, wie ich noch keines meiner Werke geliebt habe”, notierte er für seinen Neffen Wladimir. Schon zuvor hatte Tschaikowski seine ästhetischen Prinzipien umrissen. Die Komposition eines Instrumentalwerks ohne ein konkretes Thema sei ein “rein lyrischer Akt, eine musikalische Beichte der Seele, die sich in Tönen ergießt, so wie sich ein lyrischer Dichter in Versen ausdrückt. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass der Musik viel reichhaltigere Ausdrucksmittel und eine feinere Sprache zur Verfügung stehen, um seelische Regungen wiederzugeben.” Ein charakteristisches Merkmal von Tschaikowskis Ästhetik ist die subjektive Erzählweise der Musik, die die objektive Darstellung in der klassischen Sinfonie überwunden hat. Dramatische musikalische Konflikte spielen sich nur noch im Inneren ab, als leidenschaftliche, unlösbare Konflikte der Seele oder in der historischen Distanz der Erinnerung, als etwas bereits Geschehenes. (Csampai)

Der erste Satz ist suggestiv und melodisch, mit einem weltberühmten zweiten Thema, und der gesamte Satz ist doppelt so lang wie die anderen Einzelsätze. Das Werk ist, wie die anderen Sinfonien, von persönlichen Empfindungen inspiriert, jedoch ohne eigenständiges Programm. Glänzend instrumentiert beginnt es mit einem eher langsamen Satz. Im Inneren der Sinfonie stehen zwei Tanzsätze, ein Walzer und ein Scherzo – beide Nachkommen des Menuetts -, die jedoch ihre Herkunft kaum noch erkennen lassen. Der Walzer ist zu einem unruhigen Fantasiesatz im 3/4-Takt geworden (Allegro con grazia), das Scherzo (Allegro molto vivace) ist ein nicht weniger phantastischer Marsch. Dieser metrisch eigenartige zweite Satz der Sechsten, der zwischen geradem und ungeradem Takt hin- und herschwankt, ist eine Erinnerung, eine verzerrte, dunkle und wehmütige Erinnerung an einen längst verklungenen festlichen Walzer, der in der verblassenden Erinnerung seine metrisch-rhythmische Identität, den kreisenden Walzerrhythmus, verloren hat. Der Dirigent Arthur Nikisch nannte den Walzer “ein Lächeln durch Tränen”. Tschaikowski zögert den Beginn des Marschs im dritten Satz mit Spannung hinaus, als würde man sich ihm schrittweise nähern: Erst nach 228 Takten erklingt der Marsch erstmals in seiner prächtigen Grundgestalt. Das Allegro molto vivace ist dann aristokratisch und energisch bis zum Ende, dessen Charakter man beim ersten Hören für den Abschluss des gesamten Werkes halten könnte. Ohne Vorbild bis dahin war der Entschluss, die Sinfonie mit einem langsamen Satz zu beenden. Das Finale trägt daher folgerichtig den Namen Adagio lamentoso: Zweimal und beinahe monumental wird ein resignierend klingendes Thema gesteigert, das zuvor in allen Sätzen aufgetaucht war. Man hört einen feierlichen Blechbläserchoral. Die Bezeichnung “Pathétique” schlug Tschaikowskis Bruder Modest am Tag nach der Uraufführung vor, und der Komponist stimmte zu. Mit der sechsten Sinfonie fand Tschaikowskis Schaffen ein abruptes Ende: Nur drei Wochen nach der von ihm selbst dirigierten Uraufführung am 16. Oktober 1893 in St. Petersburg starb er an Cholera, nachdem er aus einem ungefilterten Flusswasser getrunken hatte.

thunor nach Gedanken von Gernot Wojnarowicz

… *) kommt noch