Wenn die Blumen aus dem Grase dringen,
Gleich als lachten sie zur hellen Sonne,
Des Morgens früh an einem Maientag,
Wenn die kleinen Vöglein munter singen,
Ihre schönsten Weisen, welche Wonne
An solche Lust dann wohl noch reichen mag?
Halb gleicht’s wohl schon dem Himmelreiche;
Soll ich nennen aber, was ihm gleiche,
So weiss ich, was mein Auge je
Noch mehr entzückt hat und auch stets
entzücken wird, wenn ich es seh’.

Wo ein edles Fräulein, hold zu schauen,
Wohl gekleidet und das Haar geschmücket,
Sich unter Leuten heitern Sinns ergeht,
Sittsam froh, vereint mit andern Frauen,
Nur zuweilen etwas um sich blicket
Und wie die Sonne über Sternen steht:
Da bring’ der Mai uns alle Wunder,
Was wohl wär’ so Wonnereiches drunter,
Als ihr viel minniglicher Leib?
Wir lassen alle Blumen steh’n
und schau’n nur an das schöne Weib.

Nun wohlan, wollt ihr die Wahrheit schauen,
Geh’n wir zu des Maien Jubelfeste,
Der jetzt ins Land mit allen Kräften kam!
Schaut ihn an und sehet schöne Frauen,
Was von beiden da wohl sei das beste,
Und sagt, ob ich das bess’re Teil nicht nahm?
Ach, wenn mich einer wählen hiesse,
Dass ich eines für das andre liesse,
Wie bald doch wär’ die Wahl gescheh’n!
Herr Mai, Ihr möchtet März sein, eh’
ich sollt’ von meiner Herrin geh’n!

Walther von der Vogelweide