Ich wünsche mir sehr, es fügte sich auch von Zeit zu Zeit ein Wiedersehen, freundlich und schön, wie jenes in Paris war, dessen ich oft gedenke. Ihr Brief, der den Weg nach Paris gemacht hatte, fand mich schließlich fast in Ihrer Nachbarschaft, in Leipzig; ich werde Ihnen gleich erzählen, was mich dorthin geführt hat und mich endlich recht lange in Deutschland festhielt, aber erst lassen Sie mich auf Ihre Nachrichten eingehen; im ganzen sind es ja gute, wenn auch der und jener Wunsch (wie die Arbeit mit der Geige in Paris) außerhalb und unverwirklicht bleibt -. Fast möcht ich sagen, übertönen Sie ihn nicht zu sehr mit dem Geräusch der Geselligkeit, es schadet nicht, wenn er weiterwächst und stärker und stärker wird.

Mir geht es oft so, dass ich mich frage, ob die Erfüllung eigentlich etwas mit Wünschen zu tun hat.

Ja, solang der Wunsch schwach ist, ist er wie eine Hälfte und braucht das Erfülltwerden wie eine zweite Hälfte, um etwas Selbstständiges zu sein. Aber Wünsche können so wunderbar zu etwas Ganzem, Vollem, Heilem auswachsen, das sich gar nicht mehr ergänzen lässt, das nur noch aus sich heraus zunimmt und sich formt und füllt. Manchmal könnte man meinen, dies gerade wäre die Ursache der Größe und Intensität eines Lebens gewesen, dass es sich mit zu großen Wünschen einließ, die von innen wie ein Ressort Aktion auf Aktion, Wirkung nach Wirkung ins Leben hinaus trieben, die kaum mehr wussten, worauf sie ursprünglich gespannt waren, und nur noch elementar, wie starkes, fallendes Wasser sich in Handlung und Herzlichkeit, in unmittelbares Dasein, in frohen Mut umsetzten, je nachdem das Geschehen und die Gelegenheit sie einschaltete. Ich weiß, ich nehme Ihre kleine Andeutung viel zu wichtig und schwer, indem ich sie mit so viel Worten belade, sie verschwindet ganz unter ihnen; aber dies als Einsicht war irgendwie fällig in mir geworden (vielleicht über dem Lesen von Heiligenleben, mit dem ich viel beschäftigt bin, immer wieder), und ich konnte dem kleinen Anstoß nicht widerstehen, auszusprechen, was irgendwie fertig war. Sie werden schon wissen, dass es nicht so anspruchsvoll und seriös gemeint ist, wie es sich da ausnimmt…

Rainer Maria Rilke an Marietta Freiin von Nordeck zur Rabenau