Liebste Lou,

dieser Brief soll ein Ostergruß sein und ein Dank für die herrliche Post von gestern. Aber er soll auch ein Versuch sein, in Worte zu fassen, was in diesen Tagen in mir vorgeht, und das ist viel und so verschieden, daß ich selbst mich in all dem Wechseln kaum wiedererkenne. Ich weiß, daß ich mich Dir gegenüber immer gleich bleibe, weil ich bei Dir immer in das Wichtigste eindringe und weil ich Dir vertraue wie keinem Menschen auf der Welt. Aber ich bin so viel und so verwickelt in mich selbst, daß ich Dir immer nur Ausschnitte zeigen kann, von denen ich glaube, daß sie Dich interessieren könnten.
Nun ist in diesen Tagen etwas geschehen, was vielleicht nur ein kleines Symptom von dem ist, was ich erlebe, aber was doch in seiner Wiederholung mir sehr viel sagt. Ich weiß nicht, ob Du Dich erinnerst, daß ich Dir einmal schrieb, ich müßte an mir selbst erleben, was ich in meinen Versen ausdrücke. Das ist oft ein schmerzlicher Weg, und doch ist es der einzige, auf dem man weiterkommt. Nun hatte ich mir vorgenommen, in diesen Tagen eine kleine Arbeit zu vollenden, und ich habe in Wahrheit bis zu heute daran gearbeitet, ich habe kaum geschlafen und oft den ganzen Tag gearbeitet. Gestern früh nun, als ich glaubte, daß es bald zu Ende sein würde, wurde ich von einer völligen Unlust ergriffen, ich fühlte, daß ich gar nicht mehr weitermachen konnte, daß mir nichts mehr gelingen würde. Ich war sehr niedergeschlagen, ich hatte das Gefühl, als ob ich allein auf der Welt sei und als ob ich alles vergebens versuche.
Dann ging ich aus dem Haus, um irgendwo in der Stadt einen Gedanken zu finden, der mich wieder zu mir zurückführen würde. Ich ging lange umher, aber es war alles so fremd, und ich fand nichts, was mir helfen konnte. Ich weiß nicht, wie lange ich schon gegangen war, als ich plötzlich in einem Blumengeschäft stand. Ich weiß nicht, warum ich eintrat, denn ich habe Blumen nie viel Beachtung geschenkt. Aber ich trat ein, und als ich durch den Laden ging, sah ich eine Anzahl von Narzissen und Osterglocken in einer Schale. Ich stand lange vor ihnen und betrachtete sie, und während ich so stand, fühlte ich, wie ich mich allmählich beruhigte und wie die Unlust von mir abfiel. Dann kaufte ich die Schale mit den Blumen und ging mit ihr nach Hause. Es war schon spät, und ich hatte den ganzen Tag gearbeitet, aber ich setzte mich noch einmal an den Tisch und begann von neuem zu schreiben. Ich schrieb bis tief in die Nacht hinein, und ich spürte, daß mir alles glückte, was ich an diesem Tag versäumt hatte.
Nun denke ich oft an diese Narzissen und Osterglocken zurück, und ich glaube, daß sie ein Symbol für das sind, was in diesen Tagen mit mir geschieht.