Mythos Rauhnächte: Düstere Zeit zwischen den Jahren
von Simon Berninger

Nach altem Volksglauben beginnt nach Weihnachten eine Zeit, in der es ratsam scheint, auf der Hut zu sein und gewisse Arbeiten ruhen zu lassen. Dazu gehört etwa das Wäschewaschen. Der Grund: In der zum Trocknen aufgehängten Kleidung könnten sich die bösen Geister verfangen, die in den sogenannten Rauhnächten ihr nächtliches Unwesen treiben.

Germanen-Gott Wotan wird dämonisiert
Im oberbayerischen Kirchseeon treten sie etwa heute noch in Gestalt der sogenannten Perchten auf. Das sind mal böse, mal gute Kreaturen, in die sich die Vereinsmitglieder des Perchtenbundes traditionell verwandeln. Dafür ziehen sie sich zottelige Kostüme über und werden zu haarigen Gestalten, um die Rauhnächte beim Wort zu nehmen: “Rauh” – heutige Schreibweises “rau” – kommt nämlich vom mittelhochdeutschen Wort “rauch”, das so viel wie “haarig” oder “behaart” meinte. Daher werden Pelze auch als Rauchwaren bezeichnet.

In der Interpretation des Kirchseeoner Perchtenbundes sind die Rauhnächte also eine haarige Angelegenheit. Die gespenstischen Ursprünge der Rauhnächte reichen dabei bis in die vorchristliche Zeit zurück, als an Weihnachten und Dreikönig noch lange nicht zu denken war: Angeblich zog etwa der Germanen-Gott Wotan in diesen Tagen mit einer wilden Heerschar durch die letzten Dezembernächte – ein Glaube, der erst durch das Christentum den Nimbus des Dämonischen erhielt.

Kirche tritt in Konkurrenz zu heidnischen Bräuchen
Zugleich bemerkten schon die Kelten, dass ein Mondjahr nur 354 Tage hatte – ein Sonnenjahr hingegen 365. Die Differenz glichen sie aus, indem sie elf Schalttage einfügten – und damit zwölf Nächte, in denen ihrem Glauben nach die Tore zu einer anderen Welt offenstanden.

Die Mythen um diese zwölf Nächte konnten sich umso leichter auf das Christentum übertragen, da die Kirche ihre Hochfeste bewusst in die bereits kultisch aufgeladene Zeit Ende Dezember, Anfang Januar legte – als Reaktion auf ihr heidnisches Umfeld. Zuerst verlegte der römische Kaiser den Jahresbeginn vom 1. März auf den 1. Januar; dann entschied der Papst, dass am 25. Dezember verbindlich Weihnachten gefeiert werden sollte, als christliche Antwort auf den zeitgleich zelebrierten Sonnengott-Kult der Römer.

Kreative Fortsetzung des Mythos in Nürnberg
Zuvor hatte sich allerdings schon das kirchliche Hochfest “Erscheinung des Herrn” durchgesetzt – und zwar am 6. Januar. Die heidnischen Rauhnächte hatten plötzlich also zwei christliche Zeitmarken, die zwölf Nächte umfassen und den weltlichen Jahresbeginn am 1. Januar als Mitte. Die Synode von Tours 567 bezeichnete die zwölf Tage zwischen Weihnachten und Dreikönig erstmals verbürgt als Zeit “zwischen den Jahren”. Je nach Region werden sie seither Rauhnächte oder Zwölfnächte (Twelve Days of Christmas) genannt.

Einen doppelten Wortsinn bekamen die Rauhnächte im Laufe der Zeit durch den Brauch, in diesen Nächten Haus und Hof mit Weihrauch auszuräuchern, um so die bösen Geister fernzuhalten. So, wie es eben auch der Perchtenbund in Kirchseeon heute noch tut, auch wenn Corona-bedingt nicht in diesem Jahr. In Nürnberg bietet dafür heuer ein eigenes Rauhnächte-Festivaleine ganz eigene, künstlerische Annäherung an den alten Mythos – um mit strahlenden Kunstinstallationen in der Innenstadt die guten Geister des neuen Jahres zu beschwören.

Quelle: https://web.archive.org/web/20221122132346/https://www.br.de/nachrichten/kultur/mythos-rauhnaechte-duestere-zeit-zwischen-den-jahren,Sst9rlI