Bei den Griechen, Kelten und Germanen galt die Mistel als Zeichen der Götter, weil sie zwischen Himmel und Erde wächst. Um kaum eine andere Pflanze ranken sich bis heute so viele Mythen und Legenden. Der griechische Held Äneas öffnete der Sage nach mit einer Eichenmistel das Tor zu Unterwelt: “Keinem ist der Weg zur Erdtiefe gestattet, ehe er den goldumlaubten Zweig vom Baume gepflückt hat”. In der Mythologie steht die Mistel deshalb auch nicht zufällig für den Sieg des Lebens über den Tod.

Und warum wächst die Mistel nicht wie fast alle anderen Pflanzen auch auf dem Boden? Auch dafür hat die Sagenwelt eine Erklärung. Die Germanische Liebesgöttin Frigga wollte danach ihren Sohn Baldur einst vor einem Mordanschlag durch den bösen Gott Loki bewahren. Zu diesem Zweck rang sie allen Pflanzen und Tieren das Versprechen ab, ihrem Sohn nichts anzutun. Doch sie vergaß die Mistel, und Loki schnitzte sich aus einem Mistelzweig einen Pfeil, der Baldur tötete. Frigga verbat daraufhin der Mistel, jemals wieder den Boden zu berühren.

Misteln als Heilmittel?
Bei den keltischen Schamanen, Zauberern oder Druiden war die Mistel DAS Allheilmittel. Vieles davon ist eher eine Glaubensfrage Schon lange gilt die Mistel aber als blutdrucksenkendes Mittel und ist als solches auch noch heute geschätzt. Bernd Labonte ist Onkologe am Gemeinschaftskrankenhaus Witten-Herdecke, wo die Mistel als ergänzende Therapie zur Schulmedizin eingesetzt wird. Mit der Misteltherapie ist es nicht möglich, einen Tumor zu beseitigen, sagt der Mediziner. Dazu seien Operation, Chemotherapie und Bestrahlung erforderlich. Aber die Mistel kann offenbar die Lebensqualität der Patienten verbessern. Davon berichtet Patientin Anna Gunst, die an die Wirkung glaubt. “Die Mistel hat sehr dazu beigetragen, dass ich die Chemotherapien so gut vertragen habe. Ich konnte auch reiten und das war für mich ganz wichtig.”

Die Anthroposophen setzen auf die Mistel
Mehr als 70 Prozent aller Patienten werden nach Informationen der deutschen Krebsgesellschaft begleitend und in der Nachsorgephase mit Mistelextrakten behandelt. Ziel sei es, erklärt Onkologe Bernd Labonte, vor allem die Körpertemperatur der Patienten zu erhöhen. “Hier muss ich sagen, dass wir im Krankenhaus die Mistel einsetzen, mit dem Ziel Fieber zu erzeugen. Das ist nicht das, wozu es in der ambulanten Behandlung zugelassen ist.” Krebsforscher weisen aber darauf hin, dass bis heute ein wissenschaftlicher Beweis für den Nutzen von Mistelpräparaten fehlt.

Und wo wir gerade bei der Aufklärung von Mythen sind, sei noch erwähnt, dass die Sache mit dem Kuss unter dem Mistelzweig auch nicht so leicht ist. Paare, die sich zu Weihnachten unter dem Mistelzweig küssen, bleiben für immer zusammen, heißt es ja. Leider gilt das nur, wenn der Mistelzweig ein Geschenk ist – und zwar von einem Dritten.

Annika Zeitler
https://www1.wdr.de/wissen/natur/mistelwissen-100.html