Blicken wir auf die Jahresringe, die Abfolge der hellen und dunklen Streifen, jedes Jahr hinterlässt seine Spuren – einen hellen Streifen im Sommer, einen dunklen im Winter. Es geht gar nicht ohne! Der Baum kann das Jahr nicht durchleben, ohne dass es in ihm Spuren in Form der Jahresringe hinterlässt.
Erfahrene Menschen können die Jahresringe lesen: erkennen, in welchen Jahren der Baum unter einer Dürre litt, ob Krankheiten ihn geschwächt haben oder ob ein Waldbrand ihn geschädigt hat. Diese Erfahrungen des Baumes werden zu seiner inneren Substanz – sie gehören unwiderruflich zu ihm und seinem Leben.
Wir als Menschen durchleben auch Jahr für Jahr – und auch das Leben hinterlässt Spuren, sichtbare und unsichtbare. Manchmal kann man an den Gesichtern der Menschen einiges ablesen – wie bei Jahresringen. Manchmal hat man den Eindruck, man sieht es jemandem an, dass er ein Leben lang gearbeitet hat , ein Leben lang viel geraucht und getrunken hat.
Vieleicht ist es beim Menschen ähnlich wie beim Baum: Ein Jahresring entsteht dadurch, dass sich etwas im Leben verändert.
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehen.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.
Rainer Maria Rilke