Eine Legende.

„Komm, Mutter, bring das Licht herein!
Die Sonne ist hinunter;
Die dunkle Nacht bricht endlich ein —
O halt dein Wort jetzunder!
Erzähl’ vom heil’gen Nikolaus,

Und theile dann Geschenke aus;
Er bringt so schöne Gaben
Den Mädchen und den Knaben!”

Die Mutter bringt sogleich das Licht,
Willfahrend gern der Bitte,
Und setzt mit lächelndem Gesicht
Sich in der Kinder Mitte.
Der Lampe Glanz beleuchtet klar
Der holden Kleinen muntre Schar;
Die Mutter, gut und-weise,
Blickt froh umher im Kreise.

„Es war einmal, fängt sie jetzt an,
Ein reicher Herr von Adel;
Herr Woldemar, ein braver Mann,
Trotz seiner Feinde Tadel.
Auch seine Töchter alle drei,
Sie waten fromm, geschickt dabei,
Von kindlichem Gemüthe
Und hold wie Rosenblüthe.

Der Feind raubt’ ihnen Hab und Gut,
Und steckt’ ihr Schloß in Flammen;
Verscheucht von wilder Krieger Wuth,
Entfloh’n sie all zusammen.
Die Töchter und der Vater ziehn
In eine ferne Gegend hin,
Und leben dort voll Jammer
In einer schlechten Kammer.

Den Vater macht das Elend krank;
Er hat nur Stroh zum Bette,
Kein Arzt fand sich, der einen Trank
Für ihn verschrieben hätte.
Der arme Kranke, lieber Gott,
Er hatte kaum das trockne Brod!
Die zarten Fräulein meinen
Fast zu vergehn vor Weinen.

Allein der kranke Vater spricht,
Und faltet fromm die Hände:
„Ihr guten Kinder, weinet nicht,
Bald nimmts mit mir ein Ende!
Ich alter Mann sink’ bald hinab
Zu eurer Mutter in das Grab —
Und theil’ nach diesen Leiden
Mit ihr des Himmels Freuden.”

„Doch wie wird es euch Waisen gehn,
In eurer zarten Jugend?
Ach niemand ist, euch beizustehn —
Zu schützen eure Tugend!
Ach einer falschen Schlange gleich
Bedrohet die Verführung euch!
O Gott! wollst dieser Amen
Dich väterlich erbarmen!”

Es war bereits um Mitternacht,
Da klopft man an dem sahen:
Kaum hat ein Fräulein aufgemacht —
„Gott sey mit uns in Gnaden!” —
So flieget etwas, wie ein Stein,
Zum offnen Laden schnell herein —
Doch auf dem Boden rollte
Ein Beutel schwer von Golde!”

Der Vater ruft: “Du guter Gott,
Du hast mein Fleh’n erhöret,
Und in der allergrößten Roth
Uns reiche Hüls gewähret!”
Die Töchter sinken auf die Knie,
Und freudeweinend danken sie;
In ihren nassen Blicken
Glänzt Freude und Entzücken.

Die Fräulein nun, geschäftig floh,
Für ihren Vater sorgen;
Im weichen Bette statt auf Stroh!
Erblickt ihn schon der Morgen.
Die Eine ruft den Arzt herbei,
Die Andre holt die Arzenei,
Die Dritte steht am Herde,
Daß ihm bald Labung werde.

Die treue Pflege giebt dem Greis
Bald wieder neue Kräfte;
Schön ordnete der Fräulein Fleiß
Die häuslichen Geschäfte.
Der bravste Edelmann im Land,
Bewarb sich bald um Emmas Hand;
Es folgen auf die Leiden
Des Hochzeitfestes Freuden!

Doch seufzet Woldemar zu Gott
Schon an dem nächsten Morgen:
„Ach könnt’ ich noch vor meinem Tod
Mein zweites Kind versorgen!
O Gott, schick nochmals Hülfe her,
Sonst weiß ich keine Hülfe mehr –
Ich hab’ so viel gegeben,
Und selbst kaum mehr zu leben!”

Die beiden Fräulein bald darauf
In später Nacht noch spinnen;
Da ruft man: „Macht den Laden auf,
Ihr Kinderlein da drinnen!
Kaum war der Laden aufgethan,
So wirft ein unbekannter Mann
Schon wieder Geld ins Zimmer —
Und schon sehn sie ihn nimmer.

Die Fräulein achten dieses Glück
Als ein Geschenk von Oben;
Sie danken mit entzücktem Blick
Dem guten Geber droben.
Die holde Bertha wurde bald
Die Braut des Mitters Theobald;
Der Vater folgt dem Paare
Voll Freude zum Altare.

Da fleht bei sich der alte Mann:
„O Gott, noch eine Bitte!
Sorg’, wie du es für Zwei gethan,
Auch für der Töchter Dritte!
Nimm diesen Sorgenstein mir ab,
Dann schrecket mich nicht Tod und Grab;
O dann will ich mit Freuden
Zu meinen Vätern scheiden!”

Einst wachet er bei Mondenlicht
Vertieft in frommes Flehen;
Ein Mann mit holdem Angesicht
Läßt sich am Fenster sehen —
Der wirft zum offnen Fensterlein
Zum dritten Male Geld herein,
Und schnell war er verschwunden
Und nirgends mehr gefunden.

Der Vater nimmt das Geld erfreut,
Für einen würd’gen Gatten
Das jüngste Fräulein, Adelhaid,
Nun auch noch auszustatten.
Der frühern Ehen jedes Paar
Erscheinet auch am Traualtar,
Und dann beim Hochzeitmahle,
Im kerzenhellen Saale.

“Doch wer war jener fremde Mann,
Der unser Glück gegründet?
Fängt jetzt der alte Vater an,
Wer ists, der ihn ausfindet —
Den Menschenfreund voll Edelmuth,
Der so im Stillen Gutes thut? —
Ach unsre Herzen brennen
Vergebens ihn zu kennen!”

Der Vater kommt im zehnten Jahr
Zur Hauptstadt in dem Lande;
Er sieht den Bischof am Altar
Im heiligen Gewande;
Und kennt sogleich das Angesicht,
Das er einst sah bei Mondenlicht,
An den so edlen Zügen
Mit himmlischem Vergnügen.

Sogleich berufet Woldemar,
Den Lieb’ und Dank entstammen,
Der Töchter, Söhne, Enkel Schaar
Durch Bothen schnell zusammen;
Und zu dem frommen Bischof führt
Er alle inniglich gerührt.
Sie fallen ihm zu Füßen
Und tausend Thränen stießen.

Der fromme edle Bischof spricht
Mit ruhiger Geberde:
„Ich that bloß meine Christenpflicht —
Erhebt euch von der Erde!
Was rühmt ihr mich geringen Mann?
Nur Gott im Himmel bethet an;
Er, Er nur kann uns retten
Aus allen unfern Nöthen!”

„Der Unschuld drohet viel Gefahr
In dieser Welt voll Mängel;
Ein wahrer Christ sey immerdar
Für sie ein guter Engel.
Der Erde Güter gab uns Gott
Zu lindern seiner Kinder Noth;
Wer anders sie verwendet —
Seh zu, wie es einst endet!”

Der Bischof war Sankt Nikolaus,
Zu dessen Angedenken
Wir Vettern jedes Kind im Haus
Noch heut’ zu Tag beschenken.
Und weil er heimlich und bei Nacht
Die milden Gaben stets gebracht,
So werden sie euch eben
Auf solche Art gegeben.

Habt, Kinder, jenen Fräulein
Die Aeltern stets in Ehren,
So wird her liebe Gott auch euch
Des Guten viel bescheren;
Ja seyd, wie Nikolaus, stets gut,
Barmherzig, mild, voll Edelmuth —
So wird nach diesem Leben
Euch Gott den Himmel geben.

Christoph von Schmid