Da schaltet sich ein Mann in Lebensgefahr nach Berlin – und die Abgeordneten reagieren mit einer Geschäftsordnungsdebatte. Das ist würdelos.

Ehrlich wäre gewesen, das Dilemma beim Namen zu nennen. Deutschland ist nicht blind angesichts der Verwüstung der Ukraine. Wir wollen keine neue Mauer in Europa bauen. Wir liefern sogar Waffen. Aber wir wissen auch, dass Kampf-Flugzeuge, eine Nato-Friedensmission oder gar eine Flugverbotszone für Putin zum Vorwand würden, seinen Krieg auszudehnen und dabei möglicherweise Atomwaffen einzusetzen.

Der Bundestag hätte bekennen können, dass Deutschland es sich viel zu lange bequem mit Putins Gas und Öl gemacht hat. Selbst nach den Angriffen auf Georgien und der Besetzung der Krim haben wir weiter weggeschaut. Jetzt sind keine Zweifel mehr möglich: In der Ukraine führt Putin Krieg gegen Zivilisten. Der Präsident im Kreml ist ein Kriegsverbrecher.

Noch machen wir Geschäfte mit diesem Russland. Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft. Selenskyj legt den Finger in die Wunde. Die epochale Kehrtwende, die Kanzler Scholz der pazifistisch angehauchten Handels- und Industriemacht Deutschland verordnet hat, hilft dem Mann, dessen Land gerade zerstört wird, nicht.

Dem Bundestag fehlte heute der Mut, es Selenskyj direkt zu sagen: Deutschland muss auf Zeit setzen. Auf die zermürbenden Folgen der Sanktionen in Russland. Darauf, dass Russland selbst den Mann abschüttelt, der zum Alleinherrscher geworden ist. Selbst Kriegspartei zu werden, einen Dritten Weltkrieg zu riskieren, dieser Preis ist nicht nur für Deutschland zu hoch.

ZDF-Chefredakteur Peter Frey