. . . ertönt es aus den Winkeln und Gassen der Historischen Altstadt, bis hin zu Michelstadts weltberühmten Rathaus. Der markerschütternde Ruf lässt das Publikum den Atem anhalten. Eben noch beim festlichen Gelage mit seiner Buhlschaft, vernimmt der reiche und unbarmherzige Jedermann den Ruf des Todes, der ihn zu einer ungewissen Reise auffordert. Niemand will ihn “dorthin” begleiten. Er erhält eine Frist seine Angelegenheiten ins Reine zu bringen. Während nun die abendliche Sonne vor dem Ensemble der mächtigen Stadtkirche und des Rathauses versinkt, wandelt sich das Ambiente des Historischen Marktplatzes zum Spielort mit anmutiger Atmosphäre und faszinierender Kulisse. Hugo von Hofmannsthals Mysterienspiel nach spätmittelalterlichen Motiven, wird in der einzigartigen Inszenierung Alexander Kaffenbergers zum kulturellen Höhepunkt des Erbach-Michelstädter Theatersommers 2023.

https://www.odenwald-theater.de/

WERKE. Jedermann!
JEDERMANN. Seis wer da will, hab itzt nit Muß
Für irdisch Händel und Verdruß.
WERKE. Hörst mich nit, Jedermann?
JEDERMANN. Ist ein krank Weib,
Was kümmerts mich, soll sehen wo sie bleib.
WERKE. Mein Jedermann, ich gehör zu dir,
Um deinetwillen lieg ich hier.
JEDERMANN. Wie soll denn das bewendet sein?
WERKE Sieh, ich bin all die Werke dein.
JEDERMANN. Ich will kein Spott, ich sterb allweg.
WERKE. Komm doch zu mir den kleinen Weg.
JEDERMANN. Das wird mit Willen nit geschehen,
Meine Werke will ich jetzt nit sehen.
Ist nit der Anblick, nach dem mich verlangt.
WERKE. Bin schmählich schwach, muß liegen hier,
Wär ichs imstand, ich lief zu dir.
JEDERMANN. Braucht nit ein fremd Gebrest dahier,
Liegt Angst und Marter gnug auf mir.
WERKE. Mich brauchst, der Weg ist schreckbar weit,
Bist annoch ohne ein Geleit.
JEDERMANN. Des Weges muß ich jetzt allein –
WERKE. Nein, ich will mit, denn ich bin dein.
Auf mir liegt viel Gebrest und Last,
Indem du mein gedacht nit hast.
Ohn dich könnt ich mich flink bewegen,
Lief dir zu Seit auf allen Wegen.
JEDERMANN O Werke mein, mit mir stehts schlecht.
Ist mir gar sehr um guten Rat
Und daß mir eines Hilfe brächt!
WERKE Jedermann, ich hab wohl vernommen,
Du bist entboten zu deinem Erlöser,
Vor ein höchst Gericht zu kommen!
Willst du nit gehen verloren, Mann,
Tritt nit allein die Wanderung an,
Das sag ich dir!
JEDERMANN. Willst du mit mir?
WERKE. Ob ich mit dir den Weg will gehn?
Fragst du mich das, mein Jedermann?
JEDERMANN Wie du mich sehnlich siehest an,
Ist mir, als hätt in meinem Leben
Nit Freund, noch Liebste, nit Weib noch Mann
Mir keinen solchen Blick gegeben!
WERKE. O Jedermann, daß du so später Stund
Dich kehrest zu meinem Aug’ und Mund!
JEDERMANN. Hast ein Gesicht verhärmt und bleich
Und dünkt mich doch an Schönheit reich.
Mir ist, je mehr ich dich anseh,
So mehr wird mir im Herzen weh,
Und sänftlich auch, vermischter Weis,
Daß ich mich nit zu nehmen weiß.
Mir ist, könnt deiner Augen Schein
Durch meine Augen dringen ein,
Ein großes Heil und Segen dann
Geschäh an einem armen Mann.
Doch weiß ich, dies ist nun versäumt,
Und jetzt ist alls nur wie geträumt!
WERKE. Hättest erkannt in deinem Sinn,[59]
Daß ich nit völlig häßlich bin,
Wärest bei mir verblieben viel
Und fern der Welt und bösem Spiel!
Komm näher, meine Stimm ist leis –:
Bei Armen wärest eingegangen
Recht als ihr Bruder, heiliger Weis,
Und göttlich Leid und irdischem Schmerz,
Die hättest zu lieben angefangen
Und aufgegangen wäre dein Herz.
Und ich, wie ich gebrechlich bin,
Ich wär, verklärt vor deinem Sinn,
Dir worden ein göttliches Gefäß,
Ein Kelch der überströmenden Gnaden,
Dazu deine Lippen waren geladen.
JEDERMANN. Und dich hab ich mögen erkennen nicht!
War so verblendet mein Gesicht!
O weh, was sind wir für Wesen dann,
Wenn solches uns geschehen kann!
WERKE. Ich war ein Kelch, der vor dir stand,
Gefüllt vom Himmel bis an den Rand,
Von Irdischem war darin kein Ding,
Drum schien ich deinen Augen gering.
JEDERMANN. O könnt ich sie ausreißen beid,
Mir wär im Dunklen nit so bang,
Als da sie mich zu bittrem Leid
Falsch han gerührt mein Leben lang!
WERKE. O weh, nun müssen die Lippen dein
Auf ewig ungetränket sein!
Hast wollen dich tränken an der Welt,
Da ward der Kelch dir weggestellt!
JEDERMANN. Des fühl ich ein wütendes Dürsten schon
Durch alle meine Adern rinnen
Und Raserei in allen Sinnen!
Da hab ich meines Lebens Lohn!
WERKE. Das ist die bitter brennend Reu,
Das sind deine ungelittenen Leiden!
O könnte dein Herz sie schaffen neu,
Wie selig wäre das uns beiden!
JEDERMANN So wollt ich ganz zernichtet sein,
Wie an dem ganzen Wesen mein
Nit eine Fiber jetzt nit schreit
Vor tiefer Reu und wildem Leid!
Zurück! und kann nit! Noch einmal!
Und kommt nit wieder! Graus und Qual!
Hie wird kein zweites Mal gelebt!
Nun weiß die aufgerißne Brust,
Als sie es nie zuvor gewußt,
Was dieses Wort bedeuten mag:
Lieg hin und stirb, hie ist dein Tag!
WERKE Mag diese Reu, so brennend groß,
Mich nit vom Boden winden los,
Weh, mag ich nit auf Füßen stehn!
Und ihm die Stund zur Seiten gehn!
Bin ich so elend schwach und krank!
JEDERMANN. Für jedes Ding kommt halt der Dank!
Werke, um alles! laß mich nit im Stich!
Bin sonst verloren sicherlich!
Hilf du mir, Rechenschaft zu geben
Vor dem, der ist Herr über Tod und Leben
Und König in der Ewigkeit,
Sonst bin ich verloren für alle Zeit!
WERKE. O Jedermann!


Hugo von Hofmannsthal