Nur wer schweigt, hört das Flüstern der Natur

Sofía Segovia will, dass wir mit den Augen hören und mit den Ohren fühlen…

Es duftet im Buch nach Nusskaramell und nach Thymian, auch nach Zitrusblüten, und später duften die sauberen weißen Leintücher, und nicht im Traum würde einfallen, dagegen die Stimme zu erheben und über eine Art „Geruchsliteratur“ zu lästern. Denn man muss leise sein, um am Rand der mexikanischen Stadt Linares die (andere) Welt zu spüren.
Und man WILL leise sein, damit man es nicht überhört – „Das Flüstern der Bienen“.

Mit einem weggelegten Baby, das die Bienen im Wald zudeckten und beschützten, ehe es von der uralten Amme der Familie Morales gefunden wurde. Reja sitzt normalerweise, und zwar seit Jahren sitzt sie, auf ihrem Schaukelstuhl, und scheint mit dem Holz verwachsen zu sein. Aber dieses Baby, Kilometer entfernt lag es, das will sie gehört haben, und deshalb habe sie ihren Schaukelstuhl ausnahmsweise verlassen …

Der Roman beginnt 1910. Mexikanischer Bürgerkrieg. Spanische Grippe. Das Gesicht des Findelkinds ist entstellt, es hat keinen Mund, sondern ein Loch. Die Oberlippe fehlt. Reden wird der Bub nie können. Abergläubige sagen, der Teufel habe ihn geküsst. Die Familie Morales adoptiert ihn trotzdem, samt Bienenschwarm, der immer bei ihm ist. Ein Kind der Natur. Es bekommt den Namen Simonopio.

Simonopio verhindert das Schlimmste, er kann kommendes Unheil rechtzeitig erkennen – vor allem was seinen geliebten Bruder betrifft. Die Bienen passen auf Simonopio auf, Simonopio passt auf den kleinen Francisco auf. Die Bienen sind es auch, die zuflüstern, dass es eine gute Idee wäre, statt Kukuruz Orangenbäumchen anzupflanzen.

Peter Pisa