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Da sieh nur welche bunten Flammen!
Es ist ein muntrer Klub beisammen.
Im Kleinen ist man nicht allein.

Doch droben möcht’ ich lieber sein!
Schon seh’ ich Glut und Wirbelrauch.
Dort strömt die Menge zu dem Bösen;
Da muß sich manches Rätsel lösen.

Die Walpurgisnacht, gefeiert in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai, ist ein traditionsreiches Fest mit tiefen Wurzeln im europäischen Brauchtum. Ursprünglich ein heidnisches Frühlingsritual zur Vertreibung des Winters, wurde es später mit dem Gedenken an die Heilige Walburga verknüpft, einer englischen Missionarin des 8. Jahrhunderts. Doch vor allem im Volksglauben hat sich ein ganz anderer Aspekt in den Vordergrund gedrängt: die Vorstellung von einer Nacht, in der sich Hexen auf dem Brocken im Harz versammeln, um mit dem Teufel zu tanzen. Feuer, Masken, Tanz und eine mystische, fast unheimliche Atmosphäre prägen das Bild dieser besonderen Nacht.

Goethe greift diesen volkstümlichen Mythos in seinem Drama Faust I auf und verleiht ihm eine tiefere, symbolische Bedeutung. In der berühmten Walpurgisnacht-Szene führt Mephistopheles den rastlosen Faust auf den Blocksberg, hinein in einen wilden Hexensabbat. Dort begegnen sie einer skurrilen, entfesselten Welt voller dämonischer Gestalten, Trugbilder und entfesselter Sinnlichkeit. Diese Szenerie ist weit mehr als bloßes Spektakel: Sie spiegelt Fausts inneren Zustand wider – zerrissen zwischen Streben, Lust und Zweifel.

Die Walpurgisnacht fungiert in Goethes Werk als eine Art grotesker Spiegel der Gesellschaft. Inmitten des bunten Treibens treten karikierte Figuren aus Politik, Kirche und Wissenschaft auf – eine bitter-ironische Kritik an menschlicher Eitelkeit und Scheinmoral. Für Faust selbst bedeutet dieser nächtliche Ausflug eine weitere Etappe auf seinem Weg des moralischen Verfalls. Die Grenze zwischen Realität und Wahnsinn verschwimmt. Die sinnliche Verlockung, die Mephisto ihm verspricht, zieht ihn immer tiefer in einen Strudel aus Täuschung und Verwirrung.

So verbindet Goethe in der Walpurgisnacht-Szene meisterhaft volkstümlichen Aberglauben mit philosophischer Tiefe. Die rauschhafte Nacht steht sinnbildlich für das Chaos, das Fausts Seele durchdringt – ein Ort, an dem die Masken fallen und das menschliche Begehren in seiner dunkelsten Form sichtbar wird.

thunor