In meiner Heimat wohnt ein alter Gymnasialprofessor, einer von den guten, der schreibt mir alle Jahre einmal einen
Brief. Er wohnt in seinem Einsiedlerhäuschen und Garten still und nachdenklich dahin, und wenn in der Stadt jemand
begraben wird, so ist es meist ein früherer Schüler von ihm.
Dieser alte Herr hat mir kürzlich wieder geschrieben. Und obwohl ich selbst einer ganz anderen Meinung bin und ihm
in meiner Antwort kräftig widersprochen habe, scheint mir seine Betrachtung über die alte und neue Zeit doch lesenswert, so daß ich dieses Stück aus seinem Brief hier mitteile.
Es heißt:
»… Es will mir nämlich vorkommen, die heutige Welt sei von der, die zu meinen jungen Zeiten noch bestand und galt,
durch eine größere Kluft getrennt, als sonst Generationen voneinander getrenntsind.Wissenkann ich es nicht, und die
Geschichtschreibung scheint zu lehren, meine Ansicht sei ein Irrtum, dem jedes alternde Geschlecht verfalle. Denn der
Fluß der Entwicklungen ist ein stetiger, und zu allen Zeiten sind die Väter von den Söhnen überwunden und nicht mehr
verstanden worden. Dennoch kann ich mein Gefühl nicht ändern, es sei – wenigstens in unserem Volk und Land – in
den letzten Jahrzehnten alles viel gründlicher anders geworden und als habe unsere Geschichte eine viel raschere Gangart angenommen als in früheren Zeiten.