Leise lese ich die Verse des Meisters vor mich hin und lasse sie in mich dringen wie einen langsam geschlürften, klaren, alten Wein. Sie sind schön, und sie tun mir wohl, und der Herbst, den sie malen, ist etwas Schönes, Zartes, Gesättigtes – aber ich freue mich nicht auf ihn. Er ist die einzige Jahreszeit, auf die ich mich niemals freue.
Und schon ist er da. Es ist nicht mehr Sommer. Die Felder sind leer, auf den Matten liegt ein leichter, kühler, metallener Duft, die Nächte sind schon kühl und die Morgen neblig, und gestern war es, daß ich auf einem schönen, fröhlichen Bergausfluge an den steilen Wiesenhängen die ersten blassen Herbstzeitlosen fand. Seit ich sie sah, ist mein Sommerübermut gebrochen; das, was für mich das Schönste im Laufe eines Jahres ist, ist wieder einmal vorüber. […] Vorüber, vorüber! Ein paar kühle Nächte, ein paar Regentage, ein paar dichte Morgennebel, und plötzlich hat das Land Herbstfarben bekommen. Die Luft ist spröder und durchsichtiger, das Blau des Himmels lichter geworden. Vogelschwärme rauschen über die kahlen Felder und rüsten zur Wanderung. Morgens liegt das erste reife Obst im nassen Gras, und die Zweige sind von den feinen, blitzenden Gespinsten der kleinen Spätjahrspinnen bedeckt. Bald wird das Schwimmen im See und das Liegen im Gras ein Ende haben, und die Abende im Boot, die Mahlzeiten im Garten, die Waldmorgen und die Seenächte! Und draußen rinnt der zähe Regen, kühl und unerbittlich, die ganze unfreundliche Nacht. Jedes Jahr dasselbe Lied vom Herbst, vom Altwerdenmüssen, vom Sterbenmüssen! Mißmutig und mit einem Fluch auf den Lippen schließe ich das Fenster, stecke eine Zigarre an und gehe fröstelnd im Zimmer auf und ab.

Hermann Hesse