
Unter den im Azovstal-Werk in Mariupol gefangen genommenen Kämpfern sind laut prorussischen Separatisten auch 78 Frauen. Der Chef der Donezker Separatisten, Denis Puschilin, sagte am Samstagabend der russischen Staatsagentur Tass zufolge, es seien zudem Ausländer in russische Gefangenschaft gekommen. Eine Zahl nannte er zunächst nicht.
Am Freitagabend hatte Moskau die komplette Einnahme des Stahlwerks gemeldet. Demnach kamen insgesamt 2.439 ukrainische Soldaten seit dem 16. Mai in russische Gefangenschaft.
Nach Angaben des Separatistenführers kamen sechs ukrainische Kämpfer in dem Stahlwerk ums Leben, „als sie versuchten, Munitionsdepots vor ihrer Gefangennahme in die Luft zu sprengen“.
Aussagen des prominenten russischen Außenpolitikers Leonid Sluzki zufolge ist ein möglicher Austausch der in Mariupol gefangen genommenen ukrainischen Kämpfer gegen den prorussischen Politiker Viktor Medwedtschuk angeblich im Gespräch. „Wir werden die Möglichkeit eines Austauschs von Medwedtschuk gegen die Asow-Kämpfer prüfen“, sagte Sluzki am Samstag der Agentur Interfax zufolge.
In den vergangenen Tagen haben sich in Mariupol mehr als 2.400 ukrainische Soldaten ergeben. Sie hatten sich zuvor wochenlang in den Bunkeranlagen des Asow-Stahlwerks verschanzt und die Hafenstadt gegen die russischen Besatzer verteidigt. Die ukrainische Regierung hat sich noch nicht zu den russischen Behauptungen geäußert.
Der Geschäftsführer des Besitzers der Stahlfabrik Azovstal in Mariupol, Jurij Ryschenkow, hat die Zerstörung in der ukrainischen Stadt beschrieben. „Die Russen versuchen sie aufzuräumen, um ihre Verbrechen zu vertuschen“, sagte Ryschenkow vom Unternehmen Metinvest in einem Interview der Zeitung „Corriere della Sera“, das am Samstag veröffentlicht wurde. Es werde versucht, den Betrieb in Mariupol wiederherzustellen.
Metinvest besitzt neben Azovstal noch die Stahlfabrik Ilyich in Mariupol. Dort sei die Infrastruktur zum Teil noch intakt, sagte Ryschenkow in dem Interview. Sollte Russland versuchen, den Betrieb dort aufzunehmen, würden sich Ukrainer weigern, dort wieder zu arbeiten, sagte er. „Wir werden niemals unter russischer Besatzung arbeiten“.
Russland hatte am Freitag behauptet, es habe die Stahlfabrik Azovstal eingenommen. Die ukrainische Regierung hat sich noch nicht zu den russischen Behauptungen geäußert.
Offenbar größerer russischer Vorstoß auf ukrainische Stellungen in Luhansk
Die russische Armee hat offenbar eine größere Offensive eingeleitet um die noch unter ukrainischer Kontrolle stehenden Teile der östlichen Provinz Luhansk zu erobern. Der Gouverneur Serhij Gaidai erklärte am Samstag über Telegram, die russische Armee versuche die Stadt Siewierodonezk zu zerstören. Am Stadtrand fänden Gefechte statt.
Der ukrainische Generalstab erklärte, Ziel der russischen Angreifer sei es, „die totale Kontrolle der Regionen Donezk und Luhansk zu erringen und einen Landkorridor zur besetzten Krim zu haben“. Der ukrainische Generalstab hat eine Vielzahl von russischen Angriffen im Land registriert und auf die Gefahr von Luftschlägen aus dem benachbarten Land Belarus hingewiesen. Der Schwerpunkt der Kämpfe liegt laut dem Lagebericht vom Samstag weiter im Osten der Ukraine. Auch der Artilleriebeschuss ukrainischer Stellungen gehe weiter, hieß es. Zudem seien Schiffe der russischen Kriegsflotte im Schwarzen und im Asowschen Meer für Kampfhandlungen und Aufklärung unterwegs, teilte der Stab in Kiew mit. Das Militär beklagte, die russischen Besatzer gingen außerdem am Boden mit Terror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung vor. So verhinderten sie etwa, dass aus dem von ihnen besetzten Gebiet Cherson die Menschen auf das von der Ukraine kontrollierte Territorium fliehen könnten.
Selenskyj: Westen mitverantwortlich an Einnahme von Azovstal
Noch vor der russischen Verkündung der Einnahme des Stahlwerks Azovstal von Mariupol, hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Fernsehinterview aufgenommen und darin den Westen für die aktuelle Entwicklung mitverantwortlich gemacht. Er habe die westlichen Staats- und Regierungschefs wiederholt aufgefordert, sein Land mit „geeigneten Waffen“ zu versorgen, „damit wir Mariupol erreichen können, um diese Menschen zu befreien“.
Russland meldet Zerstörung „großer“ Lieferung westlicher Waffen
Russland hat nach eigenen Angaben eine „große“ Lieferung westlicher Waffen im Nordwesten der Ukraine zerstört. Die russische Armee habe mit „hochpräzisen seegestützten Langstreckenwaffen“ vom Typ Kalibr eine „große Ladung Waffen und Militärausrüstung in der Nähe des Bahnhofs Malyn in der Schotoymr-Region zerstört“, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Samstag mit. Die Lieferung habe die Ukraine von den „Vereinigten Staaten und europäischen Ländern“ erhalten.
UN: Mehr als 6 Millionen Kriegs-Flüchtlinge aus Ukraine
Laut der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR sind seit Kriegsbeginn am 24. Februar mehr als 6,4 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine ausgereist. Die meisten Menschen zogen in die Nachbarländer Polen (3,4 Millionen), Rumänien (943.000), Russland (888.000) und Ungarn (627.000), teilte die Organisation der „Welt am Sonntag“ mit.
Bezüglich der nicht-benachbarten Staaten nennt UNHCR keine genauen Zahlen, führt aber Deutschland vor Tschechien und Italien als Hauptaufnahmeländer jenseits der unmittelabaren Nachbarstaaten auf. Das decke sich mit den offiziellen Angaben der jeweiligen Staaten. In Deutschland wurden laut Bundesinnenministerium bereits mehr als 700.000 Ukraine-Flüchtlinge im Ausländerzentralregister registriert.
Quelle: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ukraine-russland-konflikt-blog-100.html