
Aus dem belagerten Asow-Stahlwerk in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol sind nach russischen Militärangaben seit Samstag bisher 126 Menschen in Sicherheit gebracht worden. Mehr als die Hälfte von ihnen entschied sich demnach für ukrainisch kontrolliertes Gebiet. „Die 69 Zivilisten, die sich entschieden haben, in das vom Kiewer Regime kontrollierte Gebiet zu flüchten, wurden Vertretern der UN und des Roten Kreuzes übergeben und fahren derzeit in einer Fahrzeugkolonne Richtung Saporischja“, teilt das russische Verteidigungsministerium mit. Das Militär garantiere die Sicherheit des humanitären Korridors, hieß es weiter.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat mit einem Nazi-Vergleich in Bezug auf den Ukraine-Krieg in Israel für Empörung gesorgt. Die Regierung in Jerusalem verlangte eine Entschuldigung und bestellte den russischen Botschafter zum Gespräch ein.
Lawrow hatte am Sonntagabend im italienischen Fernsehsender Rete4 die russische Kriegsbegründung wiederholt, in der Ukraine seien Nazis am Werk. Als Gegenargument werde gesagt: „Wie kann es eine Nazifizierung geben, wenn er (der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj) Jude ist? Ich kann mich irren. Aber Adolf Hitler hatte auch jüdisches Blut. Das heißt überhaupt nichts. Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind.“
Auch der israelische Ministerpräsident Naftali Bennett verurteilt Sergej Lawrows Vergleich des ukrainischen Präsidenten Selenskyj mit Adolf Hitler. „Es ist das Ziel solcher Lügen, den Juden selbst die Schuld an den schlimmsten Verbrechen der Geschichte zu geben, die gegen sie verübt wurden“, sagte er. „Der Missbrauch der Schoah des jüdischen Volkes als Instrument der politischen Auseinandersetzung muss sofort aufhören.“ Israel hat traditionell sowohl zu Russland als auch zur Ukraine gute Beziehungen. Bennett hat seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine bereits mehrfach sowohl mit Kremlchef Wladimir Putin als auch mit Selenskyj gesprochen.
Geflüchtete schildern die Lage der Zivilisten in Mariupol
Nach ihrer Flucht aus Mariupol haben mehrere Familien der Nachrichtenagentur AP die katastrophalen Bedingungen in der Küstenstadt am Asowschen Meer geschildert. Mit Wasser aus einem Brunnen und spärlichem Essen von einem behelfsmäßigen Herd hätten sie sich über Wochen der russischen Belagerung und Besatzung am Leben gehalten, sagte Anastasija Dembytska am Montag der AP nach ihrer Ankunft in Saporischschja.
Manchmal habe sie es gewagt, aus ihrem Fenster zu schauen, dann habe sie das Stahlwerk erkennen können, oft mit dichten Rauchwolken darüber. „Wir konnten die Raketen fliegen sehen“, sagte sie der AP. Olena Gibert gelang ebenfalls die Flucht aus Mariupol in einem Privatauto. Wer selbst keinen fahrbaren Untersatz habe, der habe keine Chance, aus der Stadt rauszukommen, sagte sie in einem Aufnahmezentrum in Saporischschja.
Das russische Militär hat nach Angaben des ukrainischen Militärs mehrere Bataillone aus der ukrainischen Hafenstadt Mariupol abgezogen. Die Soldaten seien in die Stadt Popasna in der ostukrainischen Region Luhansk geschickt worden, teilt der ukrainische Generalstab mit. Dass Truppen von Mariupol an die Front in der Ostukraine gebracht würden, zeige, dass Russland dort nicht vorankomme, sagt der ukrainische Militäranalyst Oleh Schdanow der Nachrichtenagentur AP.
UN: Mehr als 3.000 tote Zivilisten seit Beginn der Invasion
In der Ukraine sind nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) inzwischen mehr als 3.000 Zivilisten seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar getötet worden. Die Zahl sei seit Freitag um 254 auf nunmehr 3153 gestiegen, teilt das Büro der Hohen Kommissarin für Menschenrechte mit. Die tatsächliche Zahl liege wahrscheinlich viel höher. Die meisten Opfer seien durch Sprengkörper getötet worden, etwa bei Raketenangriffen oder Luftschlägen.
Russland hat nach ukrainischen Angaben erneut auch nicht-militärische Ziele in der Ukraine mit Raketen angegriffen. Im Gebiet Dnipropetrowsk sei ein großes Getreidelager zerstört worden, teilt die Militärverwaltung des Gebiets mit. Dazu veröffentlichte sie ein Video, das einen Raketeneinschlag zeigt. Die Ukraine ist einer der wichtigsten Getreidelieferanten der Welt. „Unser Getreidelager geben ihnen keine Ruhe“, sagt der Chef der Militärverwaltung des Gebiets Dnipropetrowsk, Valentin Resnitschenko. Verletzt wurde nach seinen Angaben niemand. Es war in Dnipropetrowsk mindestens das dritte Mal, das ein Landwirtschaftsbetrieb angegriffen worden sein soll, der keinen militärischen Zweck erfüllt. Russland setzt nach Angaben der Ukraine seine Angriffe im Osten des Landes fort. Die russischen Truppen versuchten, die Stadt Rubischne einzunehmen und bereiteten einen Angriff auf Sjewjerodonezk vor, erklärt der ukrainische Generalstab. Im weiter östlich gelegenen Dnipro traf eine russische Rakete ein Getreidesilo, wie der zuständige Gouverneur Walentyn Resnitschenko mitteilt. Niemand sei verletzt worden. In der Region Luhansk wurden nach Angaben von Gouverneur Serhij Gaidai in den vergangenen 24 Stunden drei Menschen bei Angriffen getötet. Auf russischem Gebiet kam es zu zwei Explosionen in der an die Ukraine grenzenden Region Belgorod. Die Ursache sei unklar, es habe keine Opfer oder Schäden gegeben, teilt Gouverneur Wjatscheslaw Gladkowin in den sozialen Medien mit.
Ein Sprengsatz hat am Sonntag in der russischen Region Kursk an der Grenze zur Ukraine eine Eisenbahnbrücke beschädigt. Das erklärte die Regionalregierung über den Messengerdienst Telegram. Strafrechtliche Ermittlungen seien eingeleitet worden. Die Explosion habe die Brücke nahe dem Dorf Konopelka teilweise einstürzen lassen, hieß es in dem Bericht aus Kursk. „Es war Sabotage“, zitierte die russische Nachrichtenagentur Tass Gouverneur Roman Starowoit. Opfer habe es nicht gegeben, auch gebe es keine Auswirkungen auf den Zugverkehr.
In den vergangenen Wochen kam es zu einer ganzen Reihe von Bränden und Explosionen in russischen Regionen nahe der ukrainischen Grenze. In der Region Belgorod brannte ein Munitionslager, zuvor waren Explosionen zu hören. Die Behörden in der Region Woronesch erklärten, ein Flugabwehrsystem habe eine Drohne abgeschossen. Vor einer Woche ging ein Öllager in Bryansk in Flammen auf.
Quelle: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ukraine-russland-konflikt-blog-100.html