Leichen von Zivilisten, die nach Angaben von Einwohnern von Soldaten der russischen Armee getötet wurden, liegen inmitten der russischen Invasion in der Ukraine in Butscha auf der Straße
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Die erschütternden Bilder aus Butscha markieren eine neue Stufe im Ukraine-Krieg. Der Westen wirft Russland Kriegsverbrechen vor. Moskau weist dies als Inszenierung zurück. Die Gräueltaten von Butscha sind dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba zufolge nur „die Spitze des Eisbergs“ der von Russland begangenen Verbrechen. Daher seien härtere Sanktionen gegen Russland nötig, sagt Kuleba bei einer Pressekonferenz mit der britischen Außenministerin Liz Truss. „Sollte es Bedenken geben, schauen Sie sich Butscha an.“ Die britische Außenministerin Liz Truss hat unter anderem wegen der grausamen Bilder aus dem ukrainischen Butscha gefordert, Russland aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen auszuschließen. „Angesichts starker Belege für Kriegsverbrechen, darunter Berichte über Massengräber und ein abscheuliches Blutbad in Butscha, kann Russland kein Mitglied des UN-Menschenrechtsrats bleiben“, erklärte Truss auf Twitter. „Russland muss suspendiert werden.“
Nach Bekanntwerden eines Massakers an Zivilisten ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in die zerstörte Stadt Butscha gereist. In Butscha seien Kriegsverbrechen begangen worden, sagte Selenskyj. „Die Welt wird das als Genozid anerkennen.“ Selenskyj machte sich in Begleitung von bewaffneten Sicherheitskräften ein Bild von den Zerstörungen. Die Frage eines Reporters, ob es nun immer noch möglich sei, mit Russland über Frieden zu verhandeln, bejahte der ukrainische Staatschef: „Die Ukraine muss Frieden bekommen“, sagte er. Zugleich betonte er, ein baldiger Verhandlungserfolg sei in Russlands Interesse: „Je länger die Russische Föderation den Gesprächsprozess verzögert, desto schlimmer wird es für sie.“
Die USA wollen die Mitgliedschaft Russlands im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen aussetzen lassen. Einen entsprechenden Antrag werde man in der UN-Vollversammlung stellen, kündigt US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield an. Russland ist derzeit im zweiten Jahr der rotierenden drei Jahre dauernden Mitgliedschaft des Genfer Gremiums. Die Vollversammlung mit ihren insgesamt 193 Staaten kann die Mitgliedschaft eines Landes wegen gravierender Verstöße gegen die Menschenrechte mit Zwei-Drittel-Mehrheit suspendieren.

Lawrow dementiert Gräueltaten an Zivilisten in Butscha
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat ukrainische Angaben über Gräueltaten russischer Truppen an ukrainischen Zivilisten in Abrede gestellt. Zum Beginn seiner Gespräche mit dem UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths, der die Möglichkeit eines humanitären Waffenstillstands in der Ukraine ausloten soll, sprach Lawrow von einer inszenierten Provokation. Moskau sehe die Angaben über ein Massaker an Zivilisten in der Stadt Butscha nahe Kiew als eine „Provokation“, die eine direkte Bedrohung des globalen Friedens und der Sicherheit darstelle, sagte Lawrow. Er beschuldigte den Bürgermeister von Butscha, einen Tag nach dem Rückzug der russischen Truppen aus der Stadt am Mittwoch keine Gräueltaten gegen Zivilisten erwähnt zu haben. Zwei Tage später wurden jedoch zahlreiche auf den Straßen verstreute Leichen fotografiert. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat zu dem Fund einer Vielzahl von Leichen in der ukrainischen Ortschaft Butscha für den Abend eine Pressekonferenz seines UN-Botschafters in New York angekündigt. Es würden Beweise vorgelegt, die die „wahre Natur jener Ereignisse zeigen, die jetzt in der Stadt Butscha unsere westlichen Partner versuchen, als Zeugnisse von Kriegsverbrechen der Russischen Föderation auszulegen“, sagte Lawrow bei einer Pressekonferenz in Moskau.

Pentagon: Großteil der russischen Truppen um Kiew abgezogen
Russlands Militär hat nach Einschätzung der US-Regierung etwa zwei Drittel seiner Truppen rund um Kiew abgezogen. Die übrigen Soldaten seien weiter vor der ukrainischen Hauptstadt in Stellung gebracht, sagte ein hoher Pentagon-Vertreter. Es sei offen, ob und wann diese ebenfalls Richtung Norden abziehen würden. „Wir gehen weiterhin davon aus, dass die Truppen umgerüstet, mit Nachschub versorgt und vielleicht sogar mit zusätzlichen Kräften verstärkt werden, um dann in die Ukraine zurückgeschickt zu werden“, sagte der Regierungsvertreter weiter. Die US-Regierung vermutet, dass sie in den Donbass im Osten der Ukraine geschickt werden.
Russland verstärkt nach Einschätzung des britischen Verteidigungsministeriums seine Kräfte in der Ostukraine. Dies gelte für Soldaten und Söldner gleichermaßen, teilte das Ministerium am Montag in London unter Berufung auf die Geheimdienste mit. Die russischen Streitkräfte konsolidierten und reorganisierten sich weiter, während sie ihre Offensive in der Donbass-Region neu ausrichteten.
Russische Truppen würden ebenso in das Gebiet verlegt, wie Söldnern der privaten Gruppe Wagner, erklärte das Ministerium. Russland versuche immer noch, die Hafenstadt Mariupol im Süden des Landes einzunehmen, in der seit Wochen heftige Kämpfe toben.

Mariupols Bürgermeister: Stadt zu 90 Prozent zerstört
Nach wochenlanger Belagerung durch russische Streitkräfte ist die ukrainische Hafenstadt Mariupol nach Angaben des Bürgermeisters fast vollständig zerstört. „Die traurige Nachricht ist, dass 90 Prozent der Infrastruktur in der Stadt zerstört sind und 40 Prozent nicht wiederhergestellt werden können“, sagte Wadym Boitschenko auf einer Pressekonferenz. Rund 130.000 Menschen seien nach wie vor in der Stadt eingeschlossen.

Die Bundesregierung hat 40 russische Diplomaten zu in Deutschland „unerwünschten Personen“ erklärt. Es handle sich um Angehörige der russischen Botschaft, „die hier in Deutschland jeden Tag gegen unsere Freiheit, gegen den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gearbeitet haben“, teilte Außenministerin Annalena Baerbock in Berlin mit. Werden Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt, kommt dies einer Ausweisung gleich. Litauen fährt wegen des Kriegs in der Ukraine und der Enthüllungen schwerer Gräueltaten in der Umgebung von Kiew seine diplomatischen Beziehungen zu Russland zurück. Das Außenministerium in Vilnius wies den russischen Botschafter an, das baltische EU- und Nato-Land zu verlassen. Auch das russische Konsulat in der Hafenstadt Klaipeda müsse schließen, sagte Außenminister Gabrielius Landsbergis. Er kündigte zudem an, dass der litauische Botschafter in Moskau in Kürze nach Vilnius zurückkehren werde. Litauen hat nach Angaben von Landsbergis seine Partner in EU und Nato über die Entscheidung informiert und sie aufgefordert, dasselbe zu tun. Frankreich will eine große Zahl russischer Diplomaten ausweisen, deren Aktivitäten französischen Sicherheitsinteressen widersprechen. Der Schritt erfolge im Rahmen einer europäischen Vorgehensweise, teilte das Außenministerium in Paris mit. Nach Angaben aus Ministeriumskreisen sollen 35 russische Diplomaten das Land verlassen.

Polens Regierungschef: Merkels Politik hat Russland stark gemacht
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorgeworfen, zum Erstarken Russlands beigetragen zu haben. „Frau Bundeskanzlerin, Sie schweigen seit Beginn des Krieges. Dabei hat gerade die Politik Deutschlands während der vergangenen zehn, fünfzehn Jahre dazu geführt, dass Russland heute eine Stärke hat, die auf dem Monopol des Verkaufs von Rohstoffen basiert“, sagte Morawiecki am Montag bei einer Pressekonferenz in Warschau. Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich trotz massiver Kritik des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hinter die Entscheidung gestellt, die Ukraine 2008 nicht in die Nato aufzunehmen. „Bundeskanzlerin a.D. Dr. Angela Merkel steht zu ihren Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Nato-Gipfel 2008 in Bukarest“, teilte eine Sprecherin Merkels am Montag mit. Zugleich unterstützte die Ex-Kanzlerin die internationalen Bemühungen, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu beenden.

Quelle: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ukraine-russland-konflikt-blog-100.html