Und so wie dieser Morgen waren viele, – und Abende waren so. Hätte ich die Ängste, die ich so erlebte, machen können, hätte ich Dinge bilden können aus ihnen, wirkliche stille Dinge, die zu schaffen Heiterkeit und Freiheit ist und von denen, wenn sie sind Beruhigung ausgeht, so wäre mir nichts geschehen. Aber diese Ängste, die mir aus jedem Tage zufielen, rührten hundert andere Ängste an und sie standen in mir auf wider mich und vertrugen sich, und ich kam nicht über sie hinaus. Im Bestreben, sie zu formen, wurde ich schöpferisch an ihnen selbst; statt sie zu Dingen meines Willens zu machen, gab ich ihnen nur ein eigenes Leben, das sie wider mich kehrten und mit dem sie mich verfolgten weit in die Nacht hinein. Hätte ich es besser gehabt, stiller und freundlicher, hätte meine Stube zu mir gehalten und wäre ich gesund gebliebem, vielleicht hätte ich es doch gekonnt: Dinge machen aus Angst.
Rainer Maria Rilke an Lou Andreas-Salomè, Juli 1903, Worpswede bei Bremen