Es ist zwar schon spät, aber ich muss Dir doch noch ein paar Zeilen schreiben. Du bist nicht hier und Du fehlst mir, aber es ist mir, als wären wir trotzdem nicht weit von einander.
Ich bin neulich mit mir selbst übereingekommen: mein Unwohlsein oder besser gesagt, das was mir davon übrig geblieben ist, nicht zu beachten. Es ist genug Zeit verloren, die Arbeit darf nicht hintenangesetzt werden. Also, ob gesund oder nicht, jedenfalls werde ich wieder regelmässig von Morgen bis Abends zeichnen. Ich will nicht, dass jemand wieder von mir sagen kann: »Ach, das sind alles alte Zeichnungen.«
… Meine Hände sind meiner Ansicht nach zu zart geworden, aber was kann ich thun? Ich werde wieder ausgehen, wenn mir die Sache selbst teuer zu stehen kommt, die Hauptsache ist, dass ich meine Arbeit nicht länger im Stich lasse. Die Kunst ist eifersüchtig, sie will nicht, dass man die Krankheiten über sie stellt. Und ich gebe ihr nach.
… Menschen wie ich dürfen eigentlich nicht krank sein. Du musst nur begreifen, wie ich zur Kunst stehe. Um zur wahren Kunst zu gelangen, muss man lange und viel arbeiten. – Was ich will und mir als Ziel stecke, ist verteufelt schwierig und doch glaube ich nicht, dass ich zu hoch hinaus will. Ich will Zeichnungen machen, die einige Menschen in Erstaunen setzen.
Kurz, ich will es so weit bringen, dass man von meiner Arbeit sagt: Der Mann empfindet tief und der Mann empfindet fein; trotz meiner sogenannten Grobheit – verstehst Du – vielleicht gerade deshalb. Jetzt klingt das noch anspruchsvoll, so zu sprechen, aber das ist dann auch der Grund, warum ich Kraft da hinein bringen will.
Was bin ich denn in den Augen der meisten? Eine Null, oder ein Sonderling, oder ein unangenehmer Mensch, jemand, der in der Gesellschaft keine Position hat oder haben wird, kurz weniger noch als der Geringste.
Gut: angenommen, das verhielte sich alles so, dann würde ich durch meine Arbeit mal zeigen wollen, was das Herz einer solchen Null, eines so unbedeutenden Mannes birgt.
Das ist mein Ehrgeiz, der trotz alledem weniger auf Groll beruht, als auf Liebe, mehr auf einem Gefühl ruhiger Heiterkeit, als auf Leidenschaft. Und wenn ich oft genug mit Widerwärtigkeiten zu kämpfen habe, so ist doch in mir eine ruhige reine Harmonie und Musik.
Die Kunst erfordert eine hartnäckige Arbeit, eine unausgesetzte Arbeit und unaufhörliche Beobachtung. Unter hartnäckiger Arbeit verstehe ich in erster Reihe eine anhaltende Arbeit aber auch das Aufrechterhalten der eigenen Auffassung, den Behauptungen dieses oder jenes gegenüber.
Ich habe mich in der letzten Zeit besonders wenig mit Malern unterhalten und habe mich dabei nicht schlecht befunden. Man muss nicht so sehr auf die Sprache der Maler, wie auf die Sprache der Natur horchen. Ich kann jetzt besser begreifen, als vor einem halben Jahr, dass Mauve sagen konnte: »Sprich mir doch nicht über Dupré, sprich mir lieber vom Rand deines Grabens, oder von dergleichen.« Das klingt wohl seltsam, ist aber vollkommen richtig. Das Empfinden für die Dinge an sich, für die Wirklichkeit ist von grösserer Wichtigkeit als das Empfinden der Malerei; es ist fruchtbarer und belebender.

Vincent van Gogh an seinen Bruder Theo