Herbst? Warum nicht; es ist ja alles bereit, die Früchte sind groß, und die kleinen Störche sind von den großen nicht mehr zu unterscheiden. Und es gibt da an der Chaussee einen Teil des Parkes, der nicht gefegt wird und nicht geharkt am Sonnabend; dort ist Unkraut, das ganz verbrannt herabhängt, und die halbwüchsigen Kastanien haben viele gelbe Blätter und geben davon eines um eines ab; nicht wenn es stürmt, da nehmen sie sich zusammen und halten, so fest sie können; aber hernach, wenn es so ausholend stille wird, dann streuen sie sich aus, Blatt für Blatt, lauter große, gelbe, verbogene Blätter. Dort gibt es verkommene Disteln mit kleinen violetten, traurigen Köpfen, Disteln, die so, ohne zu überlegen, in die Höhe gewachsen sind, Birken sind dort, die ganz schütter sind, und vielleicht sind sie’s den ganzen Sommer gewesen –, aber jetzt sieht es aus, als wären sie mit Absicht und Freude so, und die Wolken ziehn hinter ihnen, und man sieht alles durch sie durch, was in den Himmeln geschieht. Und es geht so ein nachdenklicher, welker Duft umher wie von Blumen, die die Sonne getrocknet und die der Wind gepreßt hat, und es ist Herbst. Und deshalb gehe ich jetzt oft dort auf und nieder und meide den Platz unterm Nußbaum und alle meine sommerlichen Wege; denn ich will den Herbst! Ist es nicht, als wäre er das eigentlich Schaffende, schaffender denn der Frühling, der schon gleich ist, schaffender, wenn er kommt mit seinem Willen zur Verwandlung und das viel zu fertige, viel zu befriedigte, schließlich fast bürgerlich-behagliche Bild des Sommers zerstört? Dieser große herrliche Wind, der Himmel auf Himmel baut; in sein Land möchte ich gehen und auf seinen Wegen. Und vielleicht hast Du ihn auch um Dich in Deinem heimatlichen Garten und siehst am Morgen sein Bildnis in den Bäumen, die er bewegt.
Rainer Maria Rilke
(Brief an Clara Rilke)