Das Jahr geht um, der Faden rollt sich sausend ab.
Ein Stündchen noch, das letzte heut, und stäubend rieselt in sein Grab
Was einstens war lebend’ge Zeit.
Ich harre stumm.
‘S ist tiefe Nacht! Obwohl ein Auge offen noch?
In diesen Mauern rüttelt dein Verrinnen, Zeit! Mir schaudert, doch es will die letzte Stunde sein
Einsam durchwacht.
Gesehen all, was ich begangen und gedacht, was mir aus Haupt und Herzen stieg:
Das steht nun eine ernste Wacht
Am Himmelstor. O halber Sieg, O schwerer Fall!
Wie reisst der Wind am Fensterkreuze, ja es will auf Sturmesfittigen das Jahr zerstäuben,
nicht ein Schatten still verhauchen unterm Sternenklar.
Du Sündenkind!
War nicht ein hohl und heimlich Sausen jeder Tag
In deiner wüsten Brust Verlies, wo langsam Stein an Stein zerbrach,
Wenn es den kalten Odem stiess vom starren Pol?
Mein Lämpchen will verlöschen, und begierig saugt der Docht den letzten Tropfen Öl.
Ist so mein Leben auch verraucht, eröffnet sich des Grabes Höhl’
Mir schwarz und still?
Wohl in dem Kreis, den dieses Jahres Lauf umzieht,
Mein Leben bricht: Ich wüsst’ es lang!
Und dennoch hat dies Herz geglüht in eitler Leidenschaften Drang.
Mit blüht der Schweiss.
Der tiefsten Angst auf Stirn und Hand! – Wie, dämmert feucht ein Stern dort durch die Wolken nicht?
Wär’ es der Liebe Stern vielleicht, Dir zürnend mit dem trüben Licht,
Dass du so bangst?
Horch, welch Gesumm? Und wieder? Sterbemelodie!
Die Glocke regt den ehrnen Mund.
O Herr! ich falle auf das Knie: Sei gnädig meiner letzten Stund!
Das Jahr ist um!

Annette von Droste-Hülshoff