Was soll Einer thun, der vom Leben so wenig begreift, der es sich geschehen lassen muß und erfährt, daß sein eigenes Wollen immer geringer ist, als ein anderer großer Wille, in dessen Strom er manchmal geräth wie ein flußabwärts treibendes Ding? Was soll Einer thun, Lou, dem die Bücher, in denen er lesen möchte, nicht anders aufgehn als schwere Thüren, die der nächste Wind wieder ins Schloß wirft? Was soll einer thun, dem die Menschen ebenso schwer wie die Bücher sind, ebenso überflüssig und fremd, weil er das was er braucht nicht nehmen kann aus ihnen, weil er aus ihnen nicht auswählen kann und ihr Wichtiges hinnimmt und ihr Zufälliges und sich mit ihnen belädt? Was soll er thun, Lou? Soll er ganz einsam sein und sich gewöhnen mit den Dingen zu wohnen, die ihm ähnlicher sind und keine Last auf ihn legen?

Rainer Maria Rilke
(aus einem Brief an Lou Andreas-Salomé)